Elektrisierender Enthusiasmus
Starkstromdirigent Andris Nelsons aus Riga begeistert beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Irgendwo muss ein Schaltknopf versteckt sein. Vielleicht steht aber auch das Pult unter Starkstrom. Denn wie wird ein schüchterner Blässling, der eben noch wie Paddington Bär auf die Bühne getapst ist, plötzlich zum Schachtelteufel? Und bald zur Wunderkerze, die erst aufhört zu sprühen, wenn der allerletzte Ton verstummt ist?
Andris Nelsons verblüfft immer wieder. Selbst den, der ihn kennt. Die Musik scheint alles zu sein für den gehypten Orchestermotor, das muss auch ein 32-Jähriger erst einmal zulassen. Für Eitelkeiten bleibt da keine Zeit. Lieber strickt der Mariss-Jansons-Zögling an einer spannenden, zielführenden Dramaturgie, und sei der Weg noch so sperrig.
Swing in der Ohrschachtel
Am Anfang stand Charles Ives, der große unabhängige Geist der amerikanischen Avantgarde, der in „The Unanswered Question“ mit der Gleichzeitigkeit verschiedener Tonabläufe delikat verwirrt (herrlich präzise). Dann ging’s flugs zu Handsam-Anarcho John Adams: In „Slonimsky’s Earbox“ begannen die BR-Symphoniker der Reihe nach im Minimal-Rap zu swingen. Übrigens auch in amüsanten Zitaten des nächsten Kandidaten.
Igor Strawinskys „Chant du rossignol“ lag den Musikern noch mehr, denn da durften sie auf gewohnte Weise in die Vollen gehen. Von den grimassierenden Witzeleien bis zum prickelnden Dialog von Geige und Flöte. Um schließlich in der endlos strapazierten „Neuen Welt“ anzukommen. Doch ausgerechnet Dvoráks Neunte rauschte frisch wie eben erst komponiert durch den Herkulessaal. Hochemotional, leidenschaftlich, elektrisierend. Und immer schlüssig, denn Nelsons gelingt das Beste überhaupt: Er kann Musik organisch aus sich wachsen lassen.
Christa Sigg