Eingeschlossener Traum
Was kann man der Illusionsmaschinerie der opulenten Traumfabrik Kino entgegensetzen? Sind für uns nicht Helmut Berger der Traumkönig und Romy Schneider die ewige Sissi? Beim Regisseur Ivo van Hove sind es der Niederländer Jeroen Willems und Brigitte Hobmeier. Die drei müssen eine gegensätzliche Bildsprache erfinden, um uns vom farbintensiven Überwältigungs-Eindruck der Visconti-Vorlage zu befreien. So ist auf der Bühne der Kammerspiele alles schwarz-weiß gehalten, allenfalls in angedeuteten Farben. Nichts ist neobarock, in der Nühnenmitte steht ein weißer geschlossener Kubus als Guckkasten in royale Innenräume – seien sie Residenz, Ottos Irren-Internierungsschloss oder imaginärer Orgienraum.
Auf die uns zugewandte Außenwand werden Videoübertragungen aus dem Inneren geworfen. Aber auch mit diesen gelegentlichen Live-Aufnahmen versucht Ivo van Hoven bei allen Kamera- und Perspektiven-Tricks nie mit einem Kino-Film zu konkurrieren. Nur ganz am Ende, bei Ludwigs letztem Gang mit Dr. Gudden, gehen die beiden von der Bühne und filmisch fortgesetzt aus dem Theater, vorbei an Oper, Residenz und weiter zurück bis nach Nymphenburg, wo Ludwig geboren wurde. Der Kreis schließt sich, aber der Tod im See bleibt ausgeblendet. Das ist nicht das Ziel. Das Stück will nicht historische Fragen lösen, sondern den Menschen erklären, der uns und sich ein ewig Rätsel bleiben wollte.
Das beginnt schon mit der Art, wie Jeroen Willems mit Peter-Lorre-Blick den jungen König spricht und sich bewegen lässt: immer wie im Schraubstock, dadurch oft geschraubt prononciert, doch um Worte ringend, sich windend im Triebdruck, entwindend der Gesellschaftspflicht, die doch das verhindert, wovon dieser König träumt: Eine Welt, geläutert durch reine Kunst. In diesem Fall die Kunst Wagners.
Wolfgang Pregler spielt diesen Mann zwielichtig gespalten zwischen echtem Freund und Opportunisten mit selbstsüchtigem Größenwahn. Wagners menschliche Unreinheit ist auch die erste große Desillusionierung des jungen Königs, der mit Freundschaftspathos echte Nähe versucht, die zwischen König und Untertan (sei es Lakai oder Ministern) immer scheitern muss.
Und Sissi? Die Inszenierung nutzt sie als Seelenspiegel Ludwigs: Denn die Kaiserin nutzt ihre Klugheit für eine Balance zwischen höfischer Staatsraison und frecher Freiheit. Brigitte Hobmeier legt Sissi als Anti-Romy an, scharfsinniger, derber – reitpeitschig tanzt sie den Anderen auf der Nase herum.
Als die Kunst-Utopie des Königs schon gescheitert ist, besucht Sissi ihn noch einmal in seinem Neuwahnstein, wo er sich fantastisch einmauert als Schutz vor der konstitutionellen Wirklichkeit, der neurotisch-tabuisierenden katholischen Sexualmoral, die seine Homosexualität zur treibend unterdrückten Kraft macht, die sich auch in Aggression entlädt.
Ludwig ist zum der Welt entrückten, verrückten Totalverweigerer geworden. Und die Historienschinken der Rittersagen an den Wänden sind auf der Bühne seine Kreidekritzeleien, die wie aus Narren-Kinderhänden die schwarzen Schiefertafelbühnenwände bekritzeln und im Dunkeln unter Schwarzlicht magisch leuchten (Bühne: Jan Versweyveld). Ein starker Bildeinfall in einer ansonsten zurückgenommenen Inszenierung, die von subtilen, oft auch witzigen Detail-Einfällen lebt.
Neues über Ludwig erfährt man hier nicht, aber man hat diesen zerrissenen, mythisch überlagerten Menschen näher erfasst. Das gelingt in der konzentrierten Kargheit der Bühne, die nicht nach Schönheit fragt, oft sogar wahrer und besser als in der ablenkend opulenten Tiefe des Visconti-Films, der eben dadurch unvergleichlich bleibt.
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