Einen Knacks hat jeder Mann
Seit Heinrich Breloers dreiteiligem TV-Dokudrama „Die Manns. Ein Jahrhundertroman“ (2001) boomt bei uns das Geschäft mit der Familie des Nobelpreisträgers Thomas Mann. Dokumentationen, Briefwechsel, Erzählungen und Romane erscheinen, und ein Ende ist nicht in Sicht.
Der Berliner Autor Manfred Flügge (69) stellt nun in der „ersten Familienbiographie der Manns“ (Verlag) unter dem Titel „Das Jahrhundert der Manns“ mehr als zwei Dutzend Personen in ihrem Verhältnis untereinander, aber auch zu ihrer Epoche durch rund 130 Jahre seit der Reichsgründung 1871 vor. Flügge sieht das als „einen Königsweg zum Verstehen von Gesellschaft und Geschichte in Deutschland“.
Er kann sich dem anspruchsvollen Thema stellen. Flügge ist einer der besten Kenner der Exillandschaften in Südfrankreich und Kalifornien, ist Biograph Heinrich Manns, hat sich den Frauen der Exilanten gewidmet und lesenswerte Bücher über Marta Feuchtwanger und Eva Herrmann verfasst.
Der kundige Interpret des Flaneurs Franz Hessel war mit dessen Sohn Stéphane befreundet und hat ihm mit dem Buch „Ein glücklicher Rebell“ (2012) ein schönes Denkmal gesetzt. Flügge ist, auch aufgrund seiner zahlreichen Übersetzungen aus dem Französischen, ein berufener Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich. Der Essay liegt ihm.
Die Mitglieder der Familien Mann (und Pringsheim) werden in 27 Kapiteln einer essayistischen Erzählung vorgestellt. Vieles daran ist nicht gerade neu, Thomas Manns Vorliebe für Richard Wagner und seine Knabenliebe sind sattsam bekannt. Die „Tragödie“ der Schwester Carla kennen wir aus Will Jaspers Biographie (2012). Dem Bruderzwist zwischen Heinrich und Thomas gewinnt Flügge immerhin ein paar neue Aspekte ab. Wichtiger sind dem Autor die Beziehungen der Manns untereinander, bei denen er hin und wieder zwar Masochismus vermutet, Marianne Krülls differenzierte psychoanalytische Familienbiographie „Im Netz der Zauberer“ (1991) aber nicht erwähnt.
Thomas Mann starb um acht Uhr abends und nicht früh um acht
Manfred Flügge setzt auf pointierte Einsichten wie die, dass der Erste Weltkrieg bei den Manns parallel zu einem Bruderkrieg führte. Oder dass die Kinder Erika und Klaus den Radius der Familie international erweiterten, bevor es für alle ins Exil ging, von wo aus der publizistische Kampf gegen Hitlerdeutschland geführt wurde.
„Einen Knacks hat jeder“ (Thomas Mann): Man erfährt woran Erika litt, Klaus Mann starb, Golo Mann verzweifelte und Monika Mann resignierte, warum Elisabeth geliebt und Michael zum Hausnarr wurde, – zumindest aus Flügges Sicht, der fleißig viele Romane nacherzählt und mitteilt, dass er mit dem „Zauberberg“ und dem „Doktor Faustus“ nicht viel anfangen kann.
Die essayistische Verkürzung hat auch Nachteile. Es wird kein Nachweis für die zahlreichen Zitate geführt. Das rächt sich leider: Haarsträubende Fehler sind stehen geblieben. So kann Thomas Mann beispielsweise den Titel seiner Erzählung „Der Tod in Venedig“ (1912) nicht „im Nietzsche-Buch seines Freundes Ernst Bertram gefunden“ haben, da das erst 1918 erschien. Der berühmte Ausspruch „Eri muss die Suppe salzen“ stammt nicht vom „kleinen Golo“, sondern vom großen Thomas Mann.
Flügge verwechselt die Freunde Hans Reisiger und Bruno Frank sowie Samuel Fischers Frau Hedwig mit der Tochter Brigitte. Er lässt Thomas Mann früh um acht Uhr sterben anstatt abends und macht aus dem „Musikgesicht“ (Erika Mann) des Toten ein „Musikergesicht“. Einige dieser Fehler sind bereits auf der Homepage des Autors unter der Rubrik „Manns Errata“ aufgeführt; die Leser werden aufgefordert, weitere Funde dem Verlag zu melden. Den Erfolg des Buches, das bereits auf die Spiegel-Bestsellerliste kam und dessen dritte, verbesserte Auflage geplant ist, ficht das alles anscheinend jedoch nicht an. Es kann ja nur noch besser werden.
Manfred Flügge: „Das Jahrhundert der Manns“ (Aufbau, 416 S. 22,95 €). Der Autor stellt sein Buch am 19. 6., 20.15 Uhr im Literaturhaus vor