Eine unerfüllte Liebe kann nicht enttäuschen

Der Schweizer Schauspieler Jean-Pierre Cornu ist fester Gast an den Kammerspielen. Im Werkraum spielt er in Anja Hillings „Bulbus“.
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Der Schweizer Schauspieler Jean-Pierre Cornu ist fester Gast an den Kammerspielen. Im Werkraum spielt er in Anja Hillings „Bulbus“.

Bulbus ist das lateinische Wort für Zwiebel und bezeichnet in der Anatomie den Augapfel. „Bulbus“ nennt die 33-jährige Autorin Anja Hilling ihr Stück und das Bergdorf, in dem es spielt. 2006 in Wien uraufgeführt, kommt es heute im Werkraum zur deutschen Erstaufführung. Christiane Pohle inszenierte, Jean-Pierre Cornu spielt einen der vier alten Dorfbewohner, deren dunkle, schuldbeladene Vergangenheit durch die Ankunft von zwei jungen Leuten wieder auflebt. Der Schweizer Cornu, der in Zürich zum Stamm des Marthaler-Ensembles zählte, übernahm 2005 im Liederabend „Kein schöner Land“ den Part des verstorbenen Toni Berger und ist seitdem regelmäßiger Gast an den Kammerspielen. Derzeit spielt er hier in fünf Stücken.

AZ: Herr Cornu, „Bulbus“ ist ein Rätselstück. Die Dörfler haben Leichen im Keller; Ihre Figur Markidis ist ein Gewaltopfer. Die Jungen sind Teil der alten Geschichten, aber es bleibt ein Restgeheimnis.

JEAN-PIERRE CORNU: Da gibt es den Überfall auf einen Griechen und den Freispruch für die Täter, den Mord an einem Richter, zwei Kronzeugen, die sich erschießen, um nicht aussagen zu müssen. Das ist ein unglaubliches literarisches Konstrukt, aber keine sinnlich-theatralische Vorlage. Wir haben es aufgeteilt und verschnitten, um es in eine Sinnlichkeit zu drehen, und spielen es auch nicht an realen Orten wie Kramerladen oder Pension. Man muss eine ästhetische Form finden.

Viele junge Theaterautoren schreiben heute keine stringenten Geschichten und keine psychologischen Rollen mehr.

Ich habe früher viele Projekte gemacht, auch mit Marthaler. Da haben wir unsere eigenen Texte erarbeitet, und die hatten immer mit dem Schauspieler zu tun. Viele junge Autoren denken heute nicht mehr an den Schauspieler. Sie wollen gute Literatur schreiben, haben aber keinen Menschen im Kopf und machen es uns sehr schwer. Da denke ich oft, seht doch einfach mal zwei Wochen zu, wie Theater entsteht. Wenn man mit Schauspielern arbeitet, wie es auch René Pollesch macht, kriegt es gleich was anderes. Theater funktioniert anders als Literatur.

Toni Berger war in München ein Publikumsliebling. War es eine schwere Hypothek, seine Rolle zu übernehmen?

Als Baumbauer mich anrief, habe ich gesagt, ich kann das nicht, ich bin kein Bayer, sondern Schweizer. Aber Baumbauer und Wittenbrink, die ich ja beide von Hamburg kannte, wollten keinen Berger-Ersatz, sondern was ganz Eigenes. Ich musste also nicht Berger nachspielen, und es wurde eine ganz eigene Figur

Sie spielen zur Zeit in zwei „Hamlet“-Inszenierungen den Polonius: seit 2005 in Lars-Ole Walburgs Regie in München und seit 2006 in Jan Bosses Züricher Inszenierung. Wie unterschiedlich sind Ihre Interpretationen?

Natürlich fließt die Erfahrung einer Rolle in die nächste Arbeit ein. Das Problem war, dass wir hier eine ganz andere Übersetzung haben als in Zürich – und mit zwei verschiedenen Texten kommt man total in den Tüdel. So habe ich die Münchner Übersetzung in meine Rolle in Zürich eingebracht. Da ich immer versuche, eine Figur zu mir zu ziehen, haben die Figuren auch etwas miteinander zu tun, eben weil ich sie spiele.

Sie haben in vielen musikalischen Produktionen von Franz Wittenbrink und Christoph Marthaler mitgewirkt. Im Liederabend „Männer“ singen Sie Tenor. Wie musikalisch vorbelastet sind Sie?

Es war immer mein innerster Wunsch, Opernsänger zu werden. Mit 12 habe ich Sopran gesungen in „Aida“ und „Der Vetter aus Dingsda“, dann bin ich ins tiefere Fach gewechselt und habe Gesangsunterricht genommen.

Und warum sind Sie dann Schauspieler geworden?

Aus Feigheit. Beim Singen hat man mir immer gesagt, du bist viel zu laut. Außerdem hatte ich einen Onkel, der war Sänger und nicht sehr erfolgreich. Da hieß es in der Familie: Willst du so werden? Als ich schon einige Jahre am Theater engagiert war, habe ich am Wiener Konservatorium die Aufnahmeprüfung gemacht – und wurde genommen. Aber ich hätte dann auch alle Nebenfächer machen müssen, und das ging nicht neben dem Engagement, das ich auf keinen Fall aufgeben wollte. Ich musste mich entscheiden.

Bereuen Sie manchmal, nicht Musik studiert zu haben?

Es ist gut, wenn man eine heimliche Liebe hat, die nicht erfüllt wird, weil man dann nicht enttäuscht wird von ihr. Als Sänger hatte ich große Vorbilder, da wäre mein Ehrgeiz natürlich die Met gewesen. Als Schauspieler hatte ich nie Vorbilder, ich wollte immer ich selber sein und meinen Weg finden. Ich wäre als Schauspieler auch in einem Kellertheater glücklich, wenn ich dort meine Sachen machen könnte. Aber ich wäre niemals als Chorist in Biel-Solothurn glücklich geworden.

Gabriella Lorenz

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