Interview

Eine Oper über den Placebo-Effekt: Der „Liebestrank“ im Gärtnerplatztheater

Dirk Schmeding über den schönsten Moment des Regisseurs und seine Inszenierung von Gaetano Donizettis „L’elisir d’amore“ am Gärtnerplatztheater
Robert Braunmüller
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Levente Páll als Dulcamara
Levente Páll als Dulcamara © Marie-Laure Briane

Nemorino ist verliebt in Adina - nur leider will sie nicht so, wie er will. Als dann Belcore auftaucht und Adinas Herz zu erobern scheint, verzweifelt Nemorino. Glücklicherweise preist Dulcamara Wundermittel gegen Leiden aller Art an. Bei ihm kauft Nemorino einen Liebestrank, der Gaetano Donizettis „L’elisir d’amore“ den Titel verschafft hat. Dirk Schmeding inszeniert die Oper im Gärtnerplatztheater, Michael Balke dirigiert.

AZ: Herr Schmeding, das Theater wirbt sehr mit Italien-Nostalgie für diese Oper. Wie wichtig ist das für Sie?
DIRK SCHMEDING: Ein Kollege, der Regisseur Laurent Pelly, hat das mal sehr schön formuliert: Diese Oper rufe einem die Sommerferien und die Sommerliebe in Erinnerung. Insofern ist „L’elisir d’amore“ nostalgisch. Denn wir alle erinnern uns an die erste Liebe, die erste Zurückweisung und die damit verbundene Kränkung. Die Oper spielt unter jungen Menschen, in einer Lebensphase, in der Verletzungen und Kränkungen ganz tief schneiden. Diesen Spirit möchte ich treffen.

Und muss das Italien sein?
„L’elisir d’amore“ braucht eine Luftigkeit und Duftigkeit. Der Ort ist nicht entscheidend. Trotzdem bin ich während der Endproben für zwei Tage nach Verona gefahren. Ich habe mich mit einem Campari Spritz beim Castel San Pietro hingesetzt und auf die Stadt geschaut. Ich habe sehr gut gegessen, und das hat den Kopf frei gemacht.

Der 42-jährige Regisseur Dirk Schmeding studierte Kunst- und Literaturwissenschaften in Braunschweig, ehe er zum Theater ging. Seine Inszenierung der deutschen Erstaufführung von Albéric Magnards „Guercoeur“ in Osnabrück wurde von der Zeitschrift „Opernwelt“ zur „Wiederentdeckung des Jahres“ gekürt.
Der 42-jährige Regisseur Dirk Schmeding studierte Kunst- und Literaturwissenschaften in Braunschweig, ehe er zum Theater ging. Seine Inszenierung der deutschen Erstaufführung von Albéric Magnards „Guercoeur“ in Osnabrück wurde von der Zeitschrift „Opernwelt“ zur „Wiederentdeckung des Jahres“ gekürt. © Isabel Machado Rios

„Eine Oper über den Placebo-Effekt“

Die Vorlage der Oper spielt im Baskenland, und der Liebestrank erweist sich als Bordeaux, nicht als italienischer Wein.
Die Bühnenbildnerin Martina Segna und ich wollten mit einer liebevollen Ironie auf die Geschichte schauen, um nicht in einen nasebohrenden Bauern-Realismus zu verfallen. Ohnehin hat die Handlung die Leichtigkeit eines Baisers. Aber es muss an einzelnen Stellen, wenn sich die jungen Menschen emotional weh tun, auch giftig sein. Denn der Kampf ums Glück bringt das Schlechteste in ihren hervor. Weil es aber eine Komödie ist, macht es Freude, ihnen dabei zuzuschauen.

Die Oper soll sehr schnell entstanden sein, in 14 Tagen, so die Legende.
Das merkt man durchaus, weil es lose Enden gibt. Dulcamara verkündet im Finale, dass Nemorinos Onkel gestorben ist. Aber er darf das eigentlich gar nicht wissen, weil das Duett mit Adina voraussetzt, dass er daran glaubt, dass sein Wein tatsächlich ein Liebestrank ist. Das sind Kleinigkeiten, an denen man merkt, dass das Libretto schnell geschrieben wurde.

Levente Páll (Dulcamara), Jennifer O’Loughlin (Adina) und Pedro Aguiar.
Levente Páll (Dulcamara), Jennifer O’Loughlin (Adina) und Pedro Aguiar. © Marie-Laure Briane

Was ist für Sie der Kern der Geschichte?
Die unmögliche Liebe. Und eigentlich geht es um den Placebo-Effekt. Nemorino nimmt eine Substanz zu sich, die er für einen Liebestrank hält. Weil es Wein ist, gibt es eine gewisse enthemmende Wirkung. Aber Nemorino glaubt, ein anderer zu sein. Insofern ist der Widerspruch zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung auch ein wichtiges Thema.

„Sich in Demut zurücknehmen“

Nemorino ist nicht der Allerschlaueste. Wie stellt man das respektvoll dar?
In vorsichtiger Balance. Wenn die Inszenierung ins Klamaukige abrutscht, geht der Charme flöten. Nemorino ist ja gerade deshalb ein Sympathieträger, weil er sich blind in eine Sache verrennt. Als Regisseur kenne ich die Situation übrigens auch sehr gut.

Matija Meić (Belcore) und die Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz.
Matija Meić (Belcore) und die Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz. © Marie-Laure Briane

Warum ist auf einem der Fotos Ihrer Inszenierung ein alter Fernseher mit Testbild zu sehen?
Da geht es um die Einführung der Dulcamara-Figur. Wir wollten etwas wegkommen vom traditionellen Quacksalber. Er ist bei uns eine Figur, die mal in der Prime Time im Fernsehen zu sehen war, jetzt aber gefühlt in der Provinz Möbelhäuser eröffnen muss. Denn bei uns spielt die Oper im letzten Dorf am Rand der Welt, aus dem sich die jungen Leute herausträumen.

Sie haben mit zwei Besetzungen geprobt.
Beide sind gleich gut, und in jeder Kombination erlebt der Zuschauer eine andere Oper. Bei dieser Oper kommt es auf die Spiellust des Ensembles an, mit dem ich im Gärtnerplatz besonders gerne zusammengearbeitet habe.

„Die Mustangs von der Leine lassen“

Was macht man als Regisseur bei der berühmten Arie „Una furtiva lagrima“?
Sich in Demut zurücknehmen. Nemorino hat eine Menge Liebestrank intus, seine Sinne setzen sich erst wieder zusammen. Es ist ein Moment der Hoffnung, ein Ruhepunkt und Moment des Innehaltens, der einen nach allem komödiantischen Trubel aufatmen lässt.

Matteo Ivan Rašić singt „Una furtiva lagrima“.
Matteo Ivan Rašić singt „Una furtiva lagrima“. © Marie-Laure Briane

Wie sind Sie zum Inszenieren gekommen?
Ich arbeite seit 10 Jahren frei, davor war ich Regieassistent in Weimar und Stuttgart, wo ich von Jossi Wieler, Calixto Bieito und Andrea Moses viel gelernt habe. Zuletzt war ich ein wenig auf Weltuntergangsstücke festgelegt. Seit einer Inszenierung von „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ in Graz werden mir aber zunehmend Komödien angeboten.

Wann ist für Sie der schönste Moment in der Probenzeit?
Man kämpft vier Wochen um den Ausdruck im Detail. Wenn man zwei Wochen vor der Premiere auf die große Bühne geht, geht die Verantwortlichkeit auf die Sängerinnen und Sänger über. Sie nehmen die Sache eigenverantwortlich in die Hand, erfinden die Sache selbst und erfüllen sie mit Leben. Das ist der Moment, in dem die Mustangs von der Leine dürfen und die Inszenierung zur Aufführung wird. Das ist der glücklichste Moment für mich, wenn ich unwichtiger werde.

Premiere am 23. Mai, 19.30 Uhr, Restkarten. Weitere Vorstellungen am 25. 29. und 31. Mai sowie im Juni und Juli.

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