Eine Geschichte vom Wesen der Erinnerung
Leicht und poetisch, trotz aller Tragik: Roberto Cotroneos Roman „Diese Liebe“
Wo wohnt die Liebe, wenn man nicht mehr weiß, wen man vor sich hat? In welcher Welt hat sie sich versteckt?“ Das fragt sich Anna, als ihr Mann Edo einen Gedächtnisverlust erleidet. Und dann ist Edo spurlos verschwunden. Jahrelang wartet Anna unbeirrt auf seine Rückkehr, wäscht regelmäßig seine Kleidung, führt die gemeinsame Buchhandlung weiter. Annas Leben mit Edo setzt der italienische Schriftsteller Roberto Cotroneo in seinem Kurzroman „Diese Liebe“ als komplexes Mosaik aus Annas Gedanken, Erinnerungen, Träumen und Reflexionen zusammen.
In kurzen Absätzen und sprunghaften Erinnerungsfetzen entsteht ein plastisches Bild: Edo, einst ein bekannter Fußballspieler mit einer unstillbaren Leidenschaft für Poesie, nimmt bei der Lehrerin Anna Privatunterricht in Latein und Griechisch, weil er eine Buchhandlung eröffnen will. Sie heiraten, haben zwei Töchter, betreiben ihre Buchhandlung, entdecken gemeinsam die Schätze der Literatur. Trotz Annas Schmerzes über Edos Verschwinden bleibt der Erzählton leicht, zart, meist heiter und oft sehr poetisch – so beherrschend, gegenwärtig und intensiv ist diese Liebe.
Der Journalist, Literaturkritiker und Autor Roberto Cotroneo (47) ist bekannt geworden mit seinem Essayband „Wenn ein Kind an einem Sommermorgen. Brief an meinen Sohn über die Liebe zu Büchern“. Seine profunde Kenntnis der Literatur prägt mit vielen Zitaten und Anspielungen auch diese höchst kunstvoll verwobene Liebesgeschichte, die gleichermaßen eine philosophische Reflexion über das Wesen der Erinnerung ist.
Welche täuschen kann: Eine sich langsam und dennoch überraschend einschleichende Volte dreht am Schluss wie bei einem Vexierbild die Lesart in ihr Gegenteil, nicht ohne eine traurige Ironie des Schicksals. Doch das Glück lebt weiter – im Kopf Annas und dem des Lesers.
Gabriella Lorenz
R. Cotroneo: „Diese Liebe“ (Insel, 159 Seiten, 17.80 Euro)
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