Eine Frage der Beziehung
Clemens Hellsberg, der Vorstand der Wiener Philharmoniker, über die Demokratie seines Orchesters und die tägliche Arbeit bei den Salzburger Festspielen
Sie spielen ohne Chefdirigent. Einen Intendanten brauchen sie auch nicht: Die Basisdemokratie der Wiener Philharmoniker spart viel Ärger, wenn man an die Bredouille denkt, in der ihre Münchner Kollegen nach dem Machtpoker um das Letztentscheidungsrecht über Gastdirigenten stecken.
Zum Streit um Thielemann lächelt Clemens Hellsberg als guter Kollege nur vielsagend. Er ist Geiger und gewählter Vorstand der Wiener Philharmoniker. Mit seinem 1992 erschienenen Buch „Demokratie der Könige“ prägte er den schönsten Begriff zur Struktur dieses Vereins, in den nur aufgenommen werden kann, wer zugleich im Graben der Wiener Staatsoper spielt.
„Jeder von uns spielt eigentlich in zwei Orchestern“, erklärt Hellsberg. Die nach seinen Worten „erbärmlich schlecht“ bezahlte staatliche Stelle sorgt für eine Grundsicherung, die Nebentätigkeit für Glanz. Er schillert noch stärker, seit die TV-Rechte des Neujahrskonzerts von einer auch für die Fifa tätigen Schweizer Firma vermarktet werden. Sie hat den Philharmonikern einen Sponsor aus der Uhrenbranche beschert, der sich sieben Sekunden Werbung vor und nach den Walzern wohl mehr als die 11000 Euro kosten lässt, die laut einem Gerücht bislang nach jedem Neujahrskonzert im Geldbeutel eines Musikers landeten.
Zu Beträgen sagt Hellsberg nichts. Aber über das Vereinsleben verrät er im Salzburger Café Tomaselli schon: abgestimmt wird über Dirigenten nicht: „Bei allem Bekenntnis zur Demokratie – das Ergebnis könnte an die Öffentlichkeit gelangen und missverstanden werden. Ein Dirigent, unter dem wir nicht spielen wollen, muss deswegen kein schlechter Künstler sein. Zwischen Orchester und Dirigent verhält es sich wie im Leben: Es gibt Liebe auf den ersten Blick, gewachsene, auf Respekt basierende Beziehungen, aber auch zwei, die überhaupt nicht miteinander können.“
Fast jeden Tag im Dienst
Die Wiener Philharmoniker sind das Zentrum der Salzburger Festspiele. Hellsberg spielte beim ersten Konzert unter Nikolaus Harnoncourt und wird dies auch noch unter Esa-Pekka Salonen oder Gustavo Dudamel tun. Bei Rossinis „Moïse et Pharaon“ unter Riccardo Muti und in Mozart-Opern sitzt er im Graben. Nur bei Luigi Nonos „Al gran sole“ ist er nicht dabei. Aber er betont die Wichtigkeit des Neuen: „Schon vor Jahren wurde der Beschluss gefasst, dass wir bei modernen Werken, die keine Selbstrenner sind, in Salzburg zwei Proben zum Nulltarif spielen.“
Hellsberg spürt hier eine Verpflichtung durch die Vergangenheit, als die Klassiker selbst noch Zeitgenossen waren: „Um 1873 haben die Wiener Philharmoniker Bruckners Zweite und Brahms’ Haydn-Variationen uraufgeführt. Liszt hat sein letztes öffentliches Konzert gespielt, Verdi und Wagner dirigierten: Das muss eine tolle Zeit gewesen sein. Deshalb will ich auch selbst Uraufführungen spielen.“
Berühmt ist das Orchester vor allem für seinen weichen, von Bläsern gerundeten Streicherklang. Dabei spielen Traditionen im Instrumentenbau eine wichtige Rolle, aber auch starke Lehrer im Orchester: „In einzelnen Instrumentengruppen reicht das Lehrer-Schüler-Verhältnis lückenlos bis ins Gründungsjahr 1842 zurück. Auch mein Sohn spielt seit drei Jahren im Orchester. Er hat noch beim selben Geiger studiert wie ich.“
Robert Braunmüllerr
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