Eine Band unter Hypnose
Die Jungs von Coldplay legen ihr drittes Album vor, wollen neu sein und sind ganz die Alten. Mit nur drei Alben hat die Band knapp 40 Millionen Scheiben verkauft. Ihr neues Album „Viva La Vida“ und ihre gleichnamige Tour, wird sie am 26.9. auch nach München (Olympiahalle) führen.
Sie seien viel zu lange auf das Image des guten, politisch korrekten Gewissens des Pop reduziert worden, finden die vier Musiker von Coldplay, darunter Sänger Chris Martin und Drummer Will Champion. Mit nur drei Alben hat die Band knapp 40 Millionen Scheiben verkauft. Ihr neues Album „Viva La Vida“ und ihre gleichnamige Tour, die sie am 26.9. auch nach München (Olympiahalle) führen wird, soll für eine Korrektur der Wahrnehmung sorgen.
AZ: Vom Indie-Geheimtipp zur Beschallung von Supermärkten – soll man Coldplay dafür beglückwünschen?
WILL CHAMPION: Wenn man anfängt Musik zu machen, will man so viele Leute wie möglich erreichen. Als wir spürten, dass unsere Songs breitenwirksamen Hymnen-Charakter besitzen, sahen wir keinen Grund dafür, unsere Musik zu verändern, nur um Helden für einen kleinen elitären Kreis zu bleiben.
Wird Ihre Unschuld nicht trotzdem von dem Wissen gebremst, dass das neue Album mal wieder der Bilanzsteigerung Ihres Labels dienen soll?
CHRIS MARTIN: Ich sehe die Verkaufserwartungen außerhalb der Band so: Auf jeden, der auf unser neues Album hofft, kommen 2000 Leute, die es nicht die Bohne interessiert. Dieses Wissen macht das Arbeiten leichter.
Hat dieses Bewusstsein zur größeren Experimentierfreude geführt?
CHRIS MARTIN: Nein, wir haben unsere Songs nie mit Blick auf Verkaufszahlen geschrieben, sondern immer auf unsere künstlerische Integrität geachtet. Mit den ersten drei Alben schufen wir uns eine Position, die es uns jetzt erlaubt, freier zu arbeiten.
Laufen Sie mit freierer Ausdrucksweise nicht Gefahr, Ihren Status als größte Band der Welt zu verlieren?
WILL CHAMPION: Wir wollten nie die Größten sein, sondern die Besten, in dem Sinne, dass wir die bestmöglichen Songs schreiben möchten.
CHRIS MARTIN: Wir sind aber ganz sicher die hässlichste Band der Welt.
Das müssen Sie als Frauenheld und Aushängeschild von Coldplay gerade sagen.
CHRIS MARTIN: Dafür muss ich ja auch die Häme über mich ergehen lassen, wenn ich auf der Straße erkannt werde, was den anderen dreien eher selten passiert. Ich muss meinen Kopf für alles herhalten, was den Leuten an unserer Band missfällt.
Was man bisher in Ihrer Musik und Ihren Texten vermisst hat, ist Humor. Obwohl Sie doch Engländer sind.
CHRIS MARTIN: Wie recht Sie haben! Wir lachen nie, weil wir Engländer sind. Das einzige, von dem wir annehmen, dass wir etwas verstehen, ist Fußball. Und das sehen Länder wie Deutschland standesgemäß anders. Aber im Ernst, den Humor zuzulassen, war uns bei der Arbeit am neuen Album sehr wichtig. Woody Allen diente mir als Inspiration für meine Texte.
Damit gehen Sie das Wagnis ein, als Lyriker missverstanden zu werden.
CHRIS MARTIN: Was wiederum dem Gefühl entsprungen ist, ohnehin kein leicht verständliches zweites „Yello“ oder „Clocks“ mehr schreiben zu können. Wer Macht hat, kann die Macht auch ganz schnell verlieren. Das ist die Kernaussage des Titelstücks des neuen Albums. Sie birgt genauso Tragik wie auch die Aufforderung, dem Scheitern mit Humor zu begegnen. Etwas Neues erwächst danach allemal.
War das Ihr Leitmotiv bei der Studioarbeit?
WILL CHAMPION: Weil wir zum ersten Mal in unserem eigenen Studio gearbeitet haben, konnten wir uns jeden Blödsinn erlauben. Wir haben an jeder noch so scheinbar lächerlichen Idee gearbeitet, sogar einen Hypnotiseur ins Studio eingeladen, der uns beim Fokussieren half und unsere Arbeitsweise umkrempelte.
Neuerdings sind Sie auch Designer Ihrer eigenen Kleidung. Wie kamen Sie darauf, eine Mischung aus Sgt. Pepper und Adam Ant zu entwerfen?
CHRIS MARTIN: Man kleidet sich so, wie man sich fühlt. In diesem Sinne sind unsere Klamotten eine Art Deklaration unserer neu gefundenen Experimentierfreiheit. Aber keine Sorge, wir werden damit nicht bei H&M auftauchen.
Wird sich Ihre neu gewonnene Freiheit auch auf der Bühne manifestieren?
WILL CHAMPION: Absolut! Unsere Konzerte werden bunter, abwechslungsreicher und auch reizvoller für das Auge, ohne dass wir in die Las-Vegas-Trickkiste greifen. Coldplay ist immer noch Coldplay. Nur anders. Michael Loesl
Coldplay: „Viva La Vida“ (EMI)