„Eine angesagte alte Tante“
Marianne Faithfull macht noch immer großartige Alben und erklärt im Interview, dass sie 30 Jahre brauchte, um Mick Jagger zu vergessen
Sie war die glamouröse Jagger-Geliebte in den Swinging Sixties, hatte mit „As Tears go by“ einen frühen Welthit. Später hauste sie drogensüchtig, depressiv, mittel- und obdachlos in den Straßen Londons. Doch Marianne Faithfull hat der Selbstzerstörung getrotzt. Seit Jahren veröffentlicht sie nun schon hochklassige Alben, brilliert gelegentlich als Schauspielerin („Irina Palm“) und hat sich auch von einer Brustkrebserkrankung vor fünf Jahren nicht unterkriegen lassen. Heute erscheint ihr neues Album „Horses and High Heels“, das die 64-Jährige mit ihrem Produzenten und früheren Partner Hal Wilner aufgenommen hat.
AZ: Frau Faithfull, warum sind Sie für die Aufnahmen von „Horses and High Heels“ nach New Orleans gegangen?
Wegen der unglaublichen Anzahl wirklich fantastischer Musik, die dort lebt. Dazu kam, dass wir Spaß haben wollten. Das Essen ist super, die Stadt wirklich interessant und voller Musik. Es war großartig, dort zu arbeiten.
Das Album klingt positiv und zuversichtlich. Wann hat das Leben aufgehört, Sie zu quälen?
Schon vor einer Weile. Der letzte Song, den ich vor etwa zehn Jahren über meine schlimme Vergangenheit geschrieben habe, hieß „File it under Fun“ (Speicher’ es unter Spaß ab). Das war ein ironisches Stück und ein verdammt sarkastisches Statement.
Ihren britischen Humor haben Sie auch in düsteren Stunden nie verloren, oder?
Nein, der war immer da. Mein Witz, dieser Zynismus, die Ironie, ist Teil meines Wesens. Ich war immer so. In den frühen Siebzigern, als es mir dreckig ging und ich ein Junkie war, ist diese Seite meiner Persönlichkeit zwar kurz abhanden gekommen. Aber ich habe sie wiedergefunden nach den Jahren der Depressionen.
„Why did we have to part“ ist ein sehr schönes und trauriges Lied. Ist der Song autobiografisch?
Und wie! Das ist eines meiner persönlichsten Lieder aller Zeiten. Es handelt vom Ende meiner letzten Beziehung. 15 Jahre lang war ich mit dem Mann, mit Francois Ravard, zusammen. So lange wie nie zuvor mit jemandem. Und dann verliebt sich dieser Mann in eine andere Frau. Das ist jetzt zweieinhalb Jahre her und am Anfang konnte ich nicht über diese Trennung schreiben. Auch deshalb habe ich erst „Easy come easy go“ gemacht, weil ich einfach nicht fähig war, Worte darüber zu verlieren, verlassen worden zu sein. Im vergangenen Februar habe ich mich dann wieder hingesetzt und konnte mir die ganze Enttäuschung von der Seele schreiben. Das war alles sehr hart, sehr schmerzhaft für mich. Aber ich finde es interessant, dass ich nur gut zwei Jahre gebraucht habe, um über Francois hinwegzukommen. Um Mick Jagger zu vergessen, habe ich schließlich rund 30 Jahre gebraucht.
Im Ernst?
Ja. Das stimmt wirklich. Erst seit zehn Jahren tut es mir nicht mehr weh, wenn ich an Mick denke. Ich kann es gar nicht mehr beschreiben, warum ich nach 30 Jahren keinen Schmerz mehr spüre wegen Mick, aber plötzlich war der Rest dieser diese ganzen Gefühle weg. Das hat mich damals sehr Freude.
Sind Sie neu liiert?
Nein, keine Spur. Sich ständig zu verlieben ist eine Sache, die du in der Jugend machen kannst. Ich suche mittlerweile gar nicht mehr nach einer neuen Liebe, nach einem neuen Mann. Ich kann darauf verzichten. Ich meine, ich will auch nichts ausschließen, doch derzeit steht die Romantik nicht sehr weit oben auf der Liste meiner Prioritäten.
Man hat den Eindruck, dass Sie die Musik mehr genießen, je länger Sie welche machen.
So sehe ich das auch. Es ist großartig, dass ich mich voll auf die Kunst konzentrieren kann, dass nichts – keine Sucht, keine Depression, keine schwere Krankheit – mich ablenkt und davon abhält, Musik zu machen. Ich bin gesund, ungebunden und gehe in meinem Leben völlig auf.
Sie haben in den vergangenen Jahren mit vielen jungen Künstlern, mit Beck, Rufus Wainwright, Antony, Damon Albarn gearbeitet.
Bin ich eine angesagte alte Tante? Schon möglich. Und ich bin darauf stolz. Ich sehe das ja bei den Konzerten: Mindestens drei Generationen kommen zu meinen Shows. Das ist wunderbar.
Wie fanden Sie „Life“, die Autobiografie Ihres alten Freundes und ehemaligen Liebhabers Keith Richards?
Ich habe das Buch genossen und musste beim Lesen dauernd laut loslachen. Ich mochte besonders die Passagen, die er übers Musikmachen geschrieben hat.
Und den Klatsch?
Ach, komm. Den Scheiß kenne ich doch, teilweise war ich selber mit dabei.
Verherrlichen wir die Sixties heute?
Ganz eindeutig: Ja. Das Thema interessiert mich, ich war dabei, und ich lese bis heute viele Bücher über diese Ära. Ich bin mir sicher, dass wir es damals übel versaut haben. Wir hätten gute, wichtige Dinge erreichen können. Haben wir aber nicht. Wir haben alles zerstört, uns selbst teilweise inklusive. Als wir am Ende waren, kam Thatcher. Und die Premierminister nach ihr waren nicht weniger abstoßend. Tony Blair und George Brown waren jung in den Sechzigern, und guck dir an, was sie für eine widerliche Politik gemacht haben. Da kann man doch sehen, dass null Ideale da waren. David Cameron kann ich allerdings auch nicht ausstehen. Ich bin froh, dass ich nicht dort lebe.
Sie leben vorwiegend in Paris. Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie Nicolas Sarkozy mögen?
In Frankreich halte ich mich aus der Politik raus. Ich lebe hier im Exil. Gegen Sarkozy habe ich eigentlich nichts, er ist schließlich mit einer meiner besten Freundinnen verheiratet, mit Carla. Wir lieben beide die Modewelt und treffen uns häufig.
Steffen Rüth
„Horses and High Heels“ bei Naïve (Indigo)
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