Ein Zacken mehr Zirkus

Wim Wenders, heuer wieder im Wettbewerb des Filmfestivals, erinnert sich zurück. Wie Cannes jedes Jahr noch verrückter wird und wie auf Bildschirmen und Plakaten "vor allem Pornos, Horror, Kampf und Schrott" zu sehen ist...
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CANNES - Wim Wenders, heuer wieder im Wettbewerb des Filmfestivals, erinnert sich zurück. Wie Cannes jedes Jahr noch verrückter wird und wie auf Bildschirmen und Plakaten "vor allem Pornos, Horror, Kampf und Schrott" zu sehen ist...

Auf der Terrasse im ersten Stock der Appartement-Hotelburg Gray d’Albion in Cannes ist man dem Treiben der Flaneure und Paparazzi und dem Dauerstau auf der Croisette nur wenig enthoben, aber man hat einen Blick aufs Meer. Wim Wenders, der seinen Film „The Palermo Shooting“ präsentiert, knetet beim Gespräch die Hände, seine Stimme ist wie immer sanft, die Worte fließen ruhig. „Ja, an diesem Ort der großen Feiern einen Film über den Tod zu zeigen, ist eine Provokation“, sagt Wenders ohne Triumph oder Lachen. „Aber das ist mir erst eingefallen, als ich in dem noch leeren Kinosaal gerade den Ton eingestellt habe.“

Wahrscheinlich war niemand so oft als Cineast im Rampenlicht von Cannes wie er: neun Mal mit einem Film eingeladen und einmal als Jury-Präsident. „Das war 1989 und eigentlich die schönste Zeit: Sally Field, Peter Handke, Krzysztof Kieslowski und George Delerue waren unter den Jurymitgliedern. Und nach 22 fantastischen Filmen haben wir uns für das Erstlingswerk eines jungen Regisseurs entschieden: ,Sex, Lies and Videotapes’ von Steven Soderbergh. Preise bekamen auch noch Tornatores ,Cinema Paradiso’ und Kusturicas ,Zeit der Zigeuner’. Ein fantastischer Jahrgang.“ 1994 hat Wenders in Cannes die Goldene Palme für „Paris, Texas“ gewonnen. Ob sich das Fieber nach so vielen Auftritten senkt? „Ein bisschen, aber es ist jedes Mal ein neues Spiel mit neuen Karten.“

"Fast nur alte Säcke auf Easy-Rider-Maschinen"

Eine Horde Motorradfahrer röhrt vorbei, wirft Wenders aus seinen Reflexionen: „Das ist das Peinliche an Cannes: Auf diesen Easy-Rider-Maschinen sitzen hier fast nur alte Säcke.“ Die Ironie: In Wenders’ neuem Film spielt Dennis Hopper den Tod. Am Schlusswochenende des Festivals ist Cannes schon etwas müde, viele sind abgereist, auch die meisten Stars bleiben nur drei Tage, um ihren Film zu präsentieren. Jede Nacht mehr ist Zeit und Geld. „Dass ich heuer auf der Zielgeraden des Festivals hier bin, ist neu. Und ich habe keine Ahnung, ob das gut oder schlecht ist“, sagt Wenders. „Aber wenn ich zurückschaue, fällt mir auf, dass Cannes jedes Mal noch einen Zacken mehr Zirkus ist, noch verrückter, was mit der Filmkunst gar nichts mehr zu tun hat. Und wenn man durch die Hallen der Filmmesse geht, sieht man auf den Bildschirmen und Plakaten vor allem Pornos, Horror, Kampf und Schrott im Angebot. Auch das ist Cannes.“

Als Wenders 1976 mit „Im Lauf der Zeit“ zum ersten Mal eingeladen war, gab es noch das alte Palais du Festival an der Croisette, das Kinoglanz ausstrahlte. Heute steht am Yachthafen der riesige, abweisende Betonbunker mit den vielen Sälen und Konferenzräumen. Wenders ist vor über dreißig Jahren noch mit dem LKW vorgefahren. Er erzählt, dass man ihn gebeten habe, eine Szene aus dem Film herauszuschneiden, in der „Phillip Winter nun mal keine Toilette in der Landschaft findet. in die Gegend kackt“. „Das habe ich nicht akzeptiert, weshalb, so hieß es später, der Film nicht für einen Preis in Betracht gezogen worden sei.“ Gewonnen hat damals aber ein Lieblingsfilm von Wenders: Scorseses „Taxi Driver“.

Ein mittleres Buh-Gewitter

Auch diesmal steht es um Wenders’ Beitrag nicht zum Besten: Ein mittleres Buhgewitter ging in der Kritiker-Vorführung über den Abspann nieder, passend zu den Regenwolken, die den Gala-Sonntag zu verdunkeln drohen. Aber vielleicht hat Wenders davon nichts mitbekommen, denn Galavorstellung und Pressevorführungen sind hier strikt getrennt, um keinem den Spaß zu verderben.

Adrian Prechtel

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