Ein Tabakopfer für den Fluss
Man muss sich konzentrieren, sagt Willy Michl. Wenn man nämlich über die Brüstung der Brücke, die am Tierpark über die kleine Rossgumpe führt, einen Punkt im Wasser fixiert, dann beginnt man zu fahren. Wir starren. „Du musst den Pfeiler mit in den Blick nehmen“, sagt Willy. Und da beginnt sich die Brücke zu bewegen. Fährt und rumpelt rückwärts.
Am Ufer gegenüber erscheint der Willy, wie er in den 70ern war, als er zu dieser Stadt den Sound fand. Die Bäume schrumpfen. Der Teenager Willy stromert durchs Gebüsch. Einen extra großen Regenumhang hat er dabei. Weil, wenn es zu regnen beginnt, und er mit seinen Freunden dann ins Halbtrockene in den Schutz der Brückenpfeiler klettert, dann ist unter seinem Cape noch genug Platz für ein bis zwei Dirndl. Und da ist Willy jetzt als kleiner Bub, wie er sich gerade an der Weide einhält und aus dem Wasser zieht.
Sie hält nicht an, die Brücke. Reitet weiter auf dem brausenden Wasser. „Hörst du das?“, fragt Willy. „Das ist der Gesang des Flusses.“ Blasser wird das Bild. Und unter uns hören wir ein erdiges Schnauben. 90 Jahre zurück sind wir jetzt. Da kam Willys Großvater nach München. Wilhelm Friedrich Michl. Er war ein Bierfahrer. Und da unten, in der Rossgumpe, da hat er seine Rösser gewaschen.
Der Großvater bekam in München ein drittes Kind, Willy Michls Vater. Dem hat der Großvater die Rossgumpe gezeigt. Und 1958 hat der Vater seinem Willy den Ort vererbt. Vom Großvater auf den Vater auf den Sohn. „Was macht’s Isarflimmern?“, ruft im Vorbeifahren ein Radler dem Willy zu. „Es flimmert – wie immer“, antwortet Willy. Bevor er einen Schluck Wasser aus seiner Flasche nimmt, bekommt auch die Isar einen Schwapper. Etwas Tabak hat er ihr vorher schon geschenkt.
In Berchtesgaden hat Willy damals den Song geschrieben. Und wer einen Nachmittag mit Willy und seiner Frau Cora an der Isar verbringen darf, weiß, warum dieser Mann der Sänger ist, der 1979 dem Fluss sein Lied geben konnte. „Die Weiden da drüben, die kenn’ ich, da waren sie noch so klein“, sagt er.
Renaturierung? Da muss der Isarindianer freundlich lachen. Eine nette Form von etwas größerem Gartenbau ist das für ihn. „Ein Hochwasser hält das nicht zurück.“ Willy muss den Fluss nicht berechnen. Er kennt ihn. Als Bub ist er unter der Kaskade der Rossgumpe durchgekraxelt, hat sich vom Wasser hinausspülen lassen und ist im Kehrwasser zurückgeschwommen. Die Strömung hatten sie vorher mit einem Steckerl getestet. Bei Hochwasser hat er sich über den Fluss treiben lassen. Gefährlich, aber der kleine Wiwi kannte seine Grenzen.
Wir haben die Brücke verlassen und sind jetzt auf einer wasserumspülten Landzunge. „Betrachte diesen Fluss als ein fühlendes Wesen, dann fängst du an, das Wasser wirklich zu lieben“ – das ist die Botschaft des Indianers, als wir alle drei auf einem Baumstamm sitzen und die Isar durch unser Leben fließen lassen.
Kurz vorher ist Cora im Fluss gewatet. „Das Wasser nimmt alles mit“, sagt sie nach ihrer Kneipkur und strahlt, weil der Tag so schön ist. Auf der Kiesbank gegenüber sonnen sich die Nackerten. Grillgeruch. Wir sind auf unserem Baumstamm für uns, aber nicht allein: „An diesen Ufern sind alle, die jemals hier gelebt haben“, spricht Willy.
Über uns rotten sich die Wolken zusammen. Und ein Windstoß fährt unter die Bäume und der Cora in die Haare, dass sie lacht. „Am besten wär’s, gleich immer hier zu bleiben“, sagt der Rote Mann. Und für ein paar Wimpernschläge lassen das Isarwasser und die Erinnerung seine Augen ganz schimmrig glänzen.
Da drüben war es, da hat Willy seine erste heilige Pfeife geraucht. Neun Jahre war er alt und hatte gerade die erste Heilige Kommunion hinter sich. Geschenkt bekommen hatte er ein Buch: „Die Söhne der großen Bärin“. Messer, Tomahawk und Heilige Pfeife waren auf dem Umschlag abgebildet. Der Willy bastelte sich seine eigene Pfeife. Aus einem Fichtenholzkopf, in den er ein Metallrohr steckte.
Saß unter der Weide und blies den Rauch in alle vier Himmelsrichtungen. Ohne dass ihm das jemand gezeigt hätte, spürte er, wie man das macht. Was er nicht wusste: Die Zeremonie beginnt mit dem Zusammenstecken der Pfeife und endet mit dem Auseinandernehmen. Willy hat sein Rauchgerät nie auseinandergebaut. Und so kam in jener Zeit an diesem Fluss mit der Kommunion der indianische Geist über ihn, um für immer zu bleiben.
Willy Michl spielt am 13. August auf dem Nuur Soooh Open Air in Wallgau beim Bayrish Pub, am 20. August beim Bruckenfischer in Schäftlarn und am 24. August im Lustspielhaus
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