Ein positiver Schock

Am Samstag hat die wegen der Reh-Affäre heftig umstrittene „Rusalka“-Neuproduktion an der Staatsoper Premiere. Die Sängerin Kristine Opolais verteidigt die Arbeit des Regisseurs Martin Kušej.
von  Abendzeitung

Am Samstag hat die wegen der Reh-Affäre heftig umstrittene „Rusalka“-Neuproduktion an der Staatsoper Premiere. Die Sängerin Kristine Opolais verteidigt die Arbeit des Regisseurs Martin Kušej.

Im September verabschiedete sich Nina Stemme mit Verweis auf ihre stimmliche Entwicklung aus der Neuproduktion von Dvoráks Oper. Für die Einspringerin Kristine Opolais erfüllt sich in der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Martin Kušej ein lang gehegter Wunsch.

AZ: Frau Opolais, haben Sie die Aufregung um das Reh in den letzten Tagen mitbekommen?

KRISTINE OPOLAIS: Ja, ich habe im Gespräch mit meinen Kolleginnen und Kollegen davon erfahren.

Haben Sie diese heftigen Reaktionen erwartet?

Ich verstehe natürlich, dass diese Inszenierung Reaktionen in den Menschen auslöst – aber nun ist ja allen klar, dass dieses Reh nicht echt sein wird.

Was wollte Kušej mit diesem Mittel aussagen?

Das Reh ist Teil des Librettos, es ist ein immer wiederkehrendes Symbol: Der Prinz trifft Rusalka zum ersten Mal während der Rehjagd. Er nennt sie „weißes Reh“ und fragt sie sogar, ob sie seine Beute sein wolle. Ich denke, Martin will mit der Szene das tragische Ende Rusalkas andeuten.

Hatten Sie persönlich ein Problem mit dieser Szene?

Tatsache ist doch, dass das Reh auf der Bühne bei der Premiere eine Attrappe sein wird. Das Wichtigste ist doch die wunderbare Musik – und natürlich Martins Interpretation.

Was haben Sie gemacht, als die Anfrage aus München kam?

Ich bereitete mich gerade auf das Debüt an der New Yorker Metropolitan Opera vor. Dort sollte ich die Musetta in Puccinis „La Bohème“ singen. Diese Rolle ist leichter zu besetzen als die Rusalka, daher habe ich der Met abgesagt. Ich liebe Puccini sehr, aber Dvoráks Oper ist für meine künstlerische Entwicklung wichtiger.

„Rusalka“ war länger nicht in München zu sehen. Wer ist Titelfigur?

Eine Nixe. Sie ist mit dem Dasein im Wasser unglücklich und fühlt sich von der Menschenwelt angezogen. Rusalka verliebt sich in den Prinzen. Aber sie muss erkennen, dass zur menschlichen Existenz auch Schmerz und Eifersucht gehören. Daraus entsteht ihre Tragödie.

Haben Sie die Rolle schon einmal gesungen?

Öfter konzertant, aber nie szenisch. Als ich hörte, dass Martin Kušej inszenieren würde, war mir klar: Ich muss das machen.

Was reizte Sie daran?

Ich habe 2006 in Amsterdam seine Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ gesehen. Sie hat mich im positiven Sinn schockiert, weil alles zusammenpasste: die Regie, Dirigent Mariss Jansons und eine ideale Sängerbesetzung.

Hat Kušej Ihre Erwartungen erfüllt?

Schon am zweiten Tag hatte ich das Gefühl: Wow! Allerdings folgt auf einen guten Anfang oft ein schlechtes Ende. Deshalb blieb ich vorsichtig. Aber er hat mich nicht enttäuscht. Martin hilft einem, in der eigenen Persönlichkeit etwas zu entdecken, das einen künstlerisch weiterbringt.

Wie muss man sich Proben mit ihm vorstellen?

Er ist bestens vorbereitet, aber nicht festgelegt und für Vorschläge von Sängern offen. Im Unterschied zu anderen Regisseuren lobt Martin viel. Das schafft Vertrauen. Sänger sind für ihn keine Marionetten. Er sagt nie ganz genau, worauf er hinauswill, lässt uns selbst den richtigen Weg finden und so unabhängig werden.

Das klingt ein wenig nach einem Zen-Meister.

Martin ist für mich in jedem Moment eine Mann mit zwei Seiten: Er ist stark und freundlich, verschlossen und zugleich offen, ernst und manchmal heiter wie ein Kind. Das macht die Arbeit aufregend.

Sie sind mit dem Dirigenten Andris Nelsons verlobt. Treten Sie zusammen auf?

Wir vermeiden es, weil viele Leute schnell darüber die Nasen rümpfen. Er ist schon ein paar Schritte weiter. Es scheint uns besser, wenn sich unsere künstlerische Entwicklung vorerst unabhängig vollzieht.

Robert Braunmüller

Premiere Sa., 19 Uhr, ausverkauft. Weitere Vorstellungen am 26., 28., 31. 10., 4. 11. Karten unter Tel. 21 85 19 20

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