Ein letztes Schachmatt im Schatten der Geschichte

Einfallsreich: Michael Chabons neuer Roman „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“. Weil seine Lektorin Courtney Hodell ernste Zweifel an der Qualität hatte, schickte sie ihn zurück an den Schreibtisch. Die Nominierung für drei Literaturpreise ist eine schöne Belohnung fürs Nachsitzen.
von  Abendzeitung

Einfallsreich: Michael Chabons neuer Roman „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“. Weil seine Lektorin Courtney Hodell ernste Zweifel an der Qualität hatte, schickte sie ihn zurück an den Schreibtisch. Die Nominierung für drei Literaturpreise ist eine schöne Belohnung fürs Nachsitzen.

Ich hoffe, dass sich nach meinem dritten Roman niemand mehr dafür interessiert, wie alt ich bin und wie viel ich verdiene.“ Das sagte Michael Chabon vor 20 Jahren, als er mit „Die Geheimnisse von Pittsburgh“ wie eine Rakete aus dem Uni-Hörsaal auf den Literaturmarkt schoss. Nun, da mit „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“ sein vierter Roman vorliegt, interessieren sich alle dafür, ob er verheiratet ist (in zweiter Ehe mit Ayelet Waldman), wie viele Kinder er hat (vier) und mit welchem seiner Werke Hollywood gerade beschäftigt ist.

Hard-Boiled-Story und alternative Geschichtserfindung

2009 wollen sich die Coen-Brüder den aktuellen Chabon-Roman vornehmen. Der spielt in Alaska, wo nach dem (fiktiven) Zusammenbruch Israels 3,2 Millionen europäischer Juden eine neue Heimat fanden. Doch ihre Zeit läuft ab; das Land soll dem Stamm der Tlingit-Indianer zurückgegeben werden, der hier vor 1948, als der US-Kongress den Notplan für die verfolgten Juden beschloss, gelebt hatte. Ausgerechnet in dieser Phase muss der alkoholsüchtige Detektiv Meyer Landsman in dem schäbigen Hotel „Zamenhof“, in dem er seit der Scheidung von seiner Frau Bina Gelbfish haust, den Tod eines Mannes im Nachbarzimmer aufklären, der nicht nur heroinabhängig und schwul war, sondern auch ein ehemaliges Schachgenie und der verstoßene Sohn eines Rabbiners.

Der 45-jährige Chabon wagt hier eine Genre-Mischung aus Hard-Boiled-Story und alternativer Geschichtserfindung im Stile von Philip Roth („Verschwörung gegen Amerika“). Und selbst wenn der Superman-Fan dabei über die Stränge schlägt, folgt man den fantastischen Pirouetten staunend, weil so viel Einfallsreichtum selten geworden ist. Die Figuren sind alles andere als heroisch; manchen hat Chabon sogar einen ultra-religiösen Eifer angedichtet, was jüdische Leser protestieren ließ.

Problemlos verlief für Chabon die Produktion insgesamt nicht. Ursprünglich „Hatzeplatz“ betitelt, war das Buch 200 Seiten länger und in der Ich-Form geschrieben. Weil seine Lektorin Courtney Hodell ernste Zweifel an der Qualität hatte, schickte sie ihn zurück an den Schreibtisch. Er kürzte brav, ersann den Mord am Schachgenie, wechselte in die dritte Person und gab dem Roman den jetzigen Titel. All dies geschah zu des Lesers Glück. Und die Nominierung für drei Literaturpreise ist eine schöne Belohnung fürs Nachsitzen.

Reinhard Helling

Michael Chabon: „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“ (KiWi, 384 Seiten, 19.95 Euro)

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.