Ein Leben auf Plastik
Damon Albarns Gegenrealität: Die virtuellen Gorillaz sind nach einer fünfjährigen Pause mit ihrem neuen Album „Plastic Beach“ zurück
Es kann kein wahres Leben im Pop geben. 1998 schuf Blur-Kopf Damon Albarn eine virtuelle Band aus Comic-Outlaws, ein Konzept, das auch deswegen die Jahre überdauerte, weil sich hinter diesem Einfall eine Figurenwelt auftat, die liebevoll weitererzählt wurde. „Plastic Beach“ heißt nach einer Pause von fünf Jahren ihr drittes Album.
Lou Reed ist der einzige Gastkünstler, dessen kantiger New Yorker Sprechgesang in „Some Kind Of Nature“ quer zur durchgängig großartigen Oberflächlichkeit dieser Melange aus R’n’B, Britpop und Ethno-Elementen steht. Der Rest der wohl realen Künstler von Snoop Dogg über Mos Def, Mark E. Smith bis Bobby Womack und den zwei Clash-Jungs Mick Jones und Paul Simonon werden in diesem Sound selber zu Avataren. Dass der weltfluchterfahrene Alien David Bowie auf „Broken“ singt, ist zwingend. In seiner unbedingten, verspielten Künstlichkeit ist das Album diesmal weit von griffigen Hits entfernt. Aber wer sich einlässt, den erwartet beispielsweise der Futurismus von „Sweepstakes“: Balkan-HipHop-Ska mit Funkgeräuschen aus den Maschinen.
In Lummerland
„The revolution will be televized“, heißt es in „Welcome To The World Of The Plastic Beach“. Als Comic-Figuren sind die Gorillaz reine Nutzeroberfläche. Gleichzeitig sind sie scheue Promis und haben sich auf ihrem neuen Album der Zivilisation entzogen, leben jetzt auf einer Insel im Südlichen Pazifik. Einer Insel aus Plastik, zusammengebaut aus dem Zivilisationsmüll, der im Meer treibt. Wer die Experience Edition kauft, bekommt eine Making-Of-DVD und einen Zugangscode für einen Gorillaz-Bereich im Internet. Wir fliegen auf die Insel zu, die wirkt, als hätte ein Science-Fiction-Architekt Jim Knopfs Lummerland generalüberholt und sich dabei von Spongebob beraten lassen. Die virtuelle Welt ist hier nicht nur ein Gimmick, sondern Teil des Gesamtkunstwerkes und wahrscheinlich Folge der Erkenntnis, dass für junge Generationen die Musik als Leitmedium der Selbstfindung längst ausgedient hat.
Christian Jooß
Gorillaz: „Plastic Beach“ (Parlophone)