Ein Herzog regiert Italien

Alle wollen Herzog sehen: In Bosten muss im Kino die Polizei eingreifen, in Brasilien fallen Fans in Ohnmacht. Nun kommt der Star-Regisseur auch nach Europa. Das Filmmuseum in Turin präsentiert sein Gesamtwerk.
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Alle wollen Herzog sehen: In Bosten muss im Kino die Polizei eingreifen, in Brasilien fallen Fans in Ohnmacht. Nun kommt der Star-Regisseur auch nach Europa. Das Filmmuseum in Turin präsentiert sein Gesamtwerk.

Ein deutscher Popstar auf Welttournee. Alle wollen Werner Herzogs Filme sehen, reißen sich um Tickets, kämpfen um die begehrtesten Plätze. In Boston kommt es beim Ansturm auf den Saal zu Ausschreitungen. Die Polizei muss eingreifen. In Brasilien ist es noch schlimmer: Fünf Leute fallen in Ohnmacht. Sie müssen über die Köpfe der anderen Zuschauer hinausgetragen werden. In Turin gibt der Regie-Altstar der neugierigen Presse eine Audienz. Von erhitzter Atmosphäre ist hier wenig zu spüren.

Elogen auf den großen Visionär

Vielmehr lauscht man im über 800 Menschen fassenden Kinosaal des Filmmuseums in andächtiger Stille den Ausführungen des deutschen „Maestro“. Fotografen und Kamerateams halten einen gebührenden Sicherheitsabstand. Ganz Turin ist im Herzog- Rausch. An Bussen und Schaufenstern kündigen Plakate den Filmregisseur an. 23 Zeitungen schrieben Elogen auf einen der „größten Visionäre und Exzentriker“ („La Stampa“). Veranstaltern der Werkschau gelingt es, die Retrospektive des Münchner Filmfests 2006 zu übertrumpfen. Das Filmmuseum in Turin präsentiert noch bis zum 10. Februar erstmals alle 52 Filme, darunter 36 in völlig neuen Kopien. Der Startschuss zu diesem Mammutprojekt fiel vor sechs Jahren, als der damalige Leiter des Filmfestivals Venedig und jetzige Chef des Filmmuseums, Alberto Barbera, Herzog von seinen Plänen erzählte. „Mir gefiel, dass er und seine Mitarbeiter sofort ganz konkret wurden und gleich klar machten, ein umfassendes Buch dazu herausbringen zu wollen“, sagt Herzog. Es blieb nicht dabei. Eine multimediale Ausstellung lässt keine Fragen mehr über Herzogs Filme offen. 50 großformatige Fotos und elf Videoinstallationen zeigen einen Filmemacher, der ständig nach neuen Herausforderungen sucht.

Weltreise ohne Ende

Viele dieser expressiven Bilder voller Energie wurden noch nie veröffentlicht. Besonders faszinierend sind 23 Aufnahmen, die Herzogs Ehefrau Lena zu seinem Vietnam-Drama „Rescue Dawn“ (2006) machte und die den Star Christian Bale („Batman Begins“) als legitimen Kinski-Nachfolger zeigen. Herzogs persönlicher Geheimtipp ist das „Kino-Konzert“ „Requiem for a dying Planet“. Zu der Musik seines Lieblingskomponisten Ernst Reijseger werden Filmausschnitte der Herzog-Dokumentationen „The White Diamond“ (2004) und „The Wild Blue Yonder“ (2005) gezeigt. Abgerundet wird das Programm durch einen zweitägigen Workshop, den Herzog selbst mit angehenden Drehbuchautoren bestreitet. „Ich habe keine Ahnung, wie der ablaufen soll. Da muss ich mir wohl zehn Minuten vorher etwas einfallen lassen“, bemerkt Herzog mit einem Lachen. Überhaupt fällt auf, wie der als schwierig geltende, 65-jährige Regisseur in Italien aufblüht. Gut gelaunt erzählt er Anekdoten von Dreharbeiten, steht Schulklassen-Gruppen bei einer Kinovorführung zu „Kaspar Hauser“ (1976) stundenlang Rede und Antwort. Auch überrascht Herzog die italienische Presse mit Fußballkenntnissen: „So elegant wie Juve-Star Alessandro del Piero sich ohne Ball bewegt, will ich meine Filme drehen.“ Nur seine Bemerkung, Abwehr- Ass Franco Baresi würde del Piero noch toppen, löst Murren im Saal aus. Darauf angesprochen, erklärt man Werner Herzog, dass Baresi bei der Konkurrenz in Mailand kickte. Als Gegenleistung zu diesen Herzog-Festspielen in Turin sicherte sich Alberto Barbera noch ein Filetstück: Herzogs Doku „Encounters at the End of theWorld“ feierte in Turin seine umjubelte Europa- Premiere. Und der Herzog- Boom in Italien scheint ungebrochen. Bereits eine halbe Stunde vor Kassenöffnung bildeten sich Schlangen. Auch vom Centre Pompidou in Paris gibt es bereits eine Anfrage, diese Reihe zu übernehmen. Die Herzog-Weltreise nimmt kein Ende. Florian Koch

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