Ein eleganter Riese
Leicht möglich, dass die Architekten in Adventsstimmung waren. Damals, vor acht Jahren, als im Dezember gerade der Wettbewerb für die neue ADAC-Zentrale angelaufen war. Denn aus der Luft betrachtet bilden das Hochhaus und der ausladende Sockelbau eine Kerze auf einem Weihnachtsstern – halbiert. Ein Zufall, sicher. Wer allerdings an der Hansastraße vor dem Haupteingang steht und das Logo des Automobilclubs direkt im Visier hat, braucht nicht viel Fantasie, um aus dieser Perspektive eine gelbe Figur mit ausgebreiteten Flügeln auszumachen.
„Ein Engel war natürlich nicht der Auftrag”, amüsiert sich Michael Ramstetter, „aber das Thema schwebte irgendwie im Raum.” Im Büro des Leiters der ADAC-Kommunikation steht noch ein Engel aus einem früheren Kunstwettbewerb. Und dann, sagt Ramstetter, sei es doch auch nicht verkehrt, wenn Architektur in dezenter Weise Auskunft über ihre Bewohner gebe. Die „gelben Engel” kennt jedenfalls jeder, mit den Pannenhelfern verbindet man den über hundert Jahre alten Club, der längst zum Konzern geworden ist. Die drei Millionen Mitglieder von 1973 sind auf nahezu 17 Millionen angewachsen.
Entsprechend groß ist mit 2400 auch die Beschäftigtenzahl der Zentrale, die seit Montag nun Abteilung für Abteilung in die neuen lichten Räume zieht. Sechs Häuser, die übers Viertel verteilt waren, landen damit nach rund fünf Jahren Bauzeit unter einem Dach. Einem Dach, das auffällt, einen Kontrapunkt setzt zur wenig entschiedenen Bebauung rund um Westend-, Hansa- und Garmischer Straße, einer Gegend, die verkehrsumspült in der Nähe des Rings zuweilen in arger Tristesse versinkt.
Doch der 320-Millionen-Euro-Komplex mit seinen elegant geschwungenen Formen nimmt sein Areal behutsam in Besitz, mandelt sich nicht auf vor den Nachbarn und ist mit dem Turm und dessen furiosem Fassadenfarbspiel aus 22 Gelb- und Orangetönen vielmehr ein einnehmender Hingucker. Ein Hauch Missoni kommt ins Spiel – aus der Erfolgsschmiede Sauerbruch und Hutton stammt auch das Museum Brandhorst. Auf den ersten Blick mögen die beiden Bauten formal und schon aufgrund ihrer Dimensionen schwer vergleichbar sein, doch der Umgang mit Farbe macht auch die ADAC-Zentrale sofort als typischen Sauerbruch Hutton erkennbar. Da knallt nichts im Sinne eines „Wir wollen partout auffallen”, da ist auch kein Malkasten explodiert, stattdessen wird die Farbe zum elementaren, strukturbildenden Bestandteil dieser Architektur. Und im weich fließenden konvexen wie konkaven Verlauf der Fassaden aus eloxiertem Aluminium – sie bieten übrigens keine einzige Ecke – steckt immer auch ein bisschen Nierentisch-Swing der aufbruchfreudigen Fünfziger.
Nach oben weist der Weg auch im Inneren. Wer das Foyer des ADAC-Baus betritt, steht unter einer imposanten, logischerweise geschwungenen Deckenkonstruktion. Der Blick fällt auf kunstbepflanzte Wände, die demnächst von einem Wasserfall belebt werden. Kunst am Bau dient nebenbei zur Regulierung des Klimas.
Um dieses Entree schmiegt sich der fünfstöckige Sockelbau – der halbe Weihnachtsstern also –, in dem das Gros der ADAC-Mitarbeiter unterkommt. Nur etwa ein Viertel sitzt in den 23 Etagen des 92 Meter hohen Turms. Und fast alle haben ein „Flex Office”: Es gibt keine festen Arbeitsplätze. Morgens sucht man sich mit seinem Container einen Tisch. Wobei es im von hellem Holz und Ausblicken dominierten Ambiente keine dunklen Ecken gibt. Durch die fast raumhohe Verglasung genießt jeder Tageslicht – und eine Aussicht, die vor allem in den oberen Chefetagen sensationell ist.
Schade nur, dass das Team Sauerbruch Hutton mit dem Renommier-Projekt nichts mehr zu tun hat. Michael Ramstetter und seine ADAC-Kollegen sind zwar voll des Lobes für die Architekten, man habe sich aber vor zwei Jahren einvernehmlich getrennt und die Züblin AG für die Ausführung ins Boot geholt. „Bei der Planung sind grobe Fehler passiert”, erklärt Ramstetter, ohne konkret zu werden. Offenkundig ist, dass die Kosten nicht weiter in die Höhe schnellen sollten. Abspecken war angesagt. „Den Streit müssen die Gerichte klären”, sagt er, „wir wollen keine schmutzige Wäsche waschen.”
Dabei könnten sich die Berliner Architekten wirklich sonnen im fein flimmernden Glanz ihres Prachtbaus, der selbst eingefleischte Hochhaushasser eigentümlich stumm werden ließ. Zumal gleich in Reichweite Klötze stehen, die nun wirklich nicht das Gelbe vom Ei sind.
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