Eifersucht knackt das Passwort
In den Achtzigern müssen österreichische Radiojournalisten exzellent verdient haben. Der Held von Josef Zoderers Eifersuchts- und Ehebruchsroman „Farben der Grausamkeit” (Haymon, 336 Seiten, 19.90 Euro) baut einen Bauernhof luxuriös um, nährt eine Hausfrau mit zwei Kindern, leistet sich nebenbei ein Liebesnest und fliegt in ganz Europa herum, um die Geliebten zu treffen. Und ohne dass seine Frau jemals was merkt oder gar misstrauisch Kontoauszüge checkt.
Das ist nicht besonders glaubhaft. Wie abgehoben die feierliche Prosa des Südtiroler Schriftstellers daherkommt, fällt besonders auf, wenn man kurz danach den neuen Roman des 29 Jahre jüngeren Helmut Krausser liest. „Kurzfristig gebuchte Flüge sind leider recht teuer”, heißt es da nüchtern. Seine Figuren skypen, mailen und simsen. Wenn die Miete nicht gezahlt wird, flattern rasch Mahnungen ins Haus.
Das alte Problem, wie die Wirklichkeit ins Buch zu bringen wäre, löst Krausser in seinem neuen Roman souverän: Die mehreren Wahrheiten im Beziehungsdreieck zwischen Kati, Serge und David verflechten sich dreistimmig in tagebuchartigen Monologen. Da wird ein bisschen gelogen und mit Hilfe einer falschen Mailadresse auch die Identität gewechselt. Nebenstränge sorgen für groteske Zufälle, von denen man auch im Leben nicht verschont bleibt.
Krausser nähert sich der Hauptgeschichte mäandernd über die Nichte einer der Figuren und dessen Mutter. Sie entflieht dem kalten Berliner Winter des Vorjahres, um in Florida einen zweiten lesbischen Frühling zu erleben. Ihr Kater begeht darüber stoisch Selbstmord in den Armen ihres kaltschnäuzigen Sohnes. Die Hauptfigur, der Werbetexter Serge, führt sich mit einem wilden Hassausbruch ein, der auch in Kraussers Tagebüchern „Substanz” stehen könnte: Er würde am liebsten die Leute massakieren, die als „letztlich leblose Hindernisse und Schikanen” an der Tür herumtrödeln, anstatt die Berliner U-Bahn zügig zu verlassen.
Wem schießt so etwas nicht durch den Kopf? Bei Serge sind diese Gedankenströme Vorzeichen eines psychischen Zusammenbruchs, aus dem er mit seiner ziemlich normalen Geliebten Kati nach Malta flieht. Sie war ihm nicht treu, und das bekommt Serge mit Hilfe gefälschter Mails heraus. Wie er das Passwort knackt, schildert Krausser ebenso wirklichkeitsnah wie obskure Berliner Bars, Zocker beim Backgammon in Georgien, die Wirkungen einer gestreckten Prise Kokain oder die wilden Grübeleien eines eifersüchtigen Mannes.
Kati wirkt anfangs als Opernchor-Sängerin scheinbar blass. Aber sie dürfte aus dem Beziehungschaos gestärkter hervorgehen als die Muttersöhnchen, mit denen sie sich eingelassen hat. Die Lebenslügen dieser Figuren entlarvt Krausser mit einem kühlen, schnörkellosen Sarkasmus. Pathos ist ihm fremd. Kein Autor beschreibt treffender, wie die leicht prekäre Mittelklasse der Leute Mitte 40 heute in den Tag hinein lebt.
Helmut Krausser: „Die letzten schönen Tage” (DuMont, 223 Seiten, 19.99 Euro)