Echte Helden gehn nicht mit der Mode

Vor 200 Jahren wurden die Ägineten entdeckt: Die grandiose Schau „Kampf um Troja“ erzählt die Geschichte dieser Oberheroen der Glyptothek und beweist, dass knallenge Leggings absolut antik sind
Christa Sigg |
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Manchmal ist gerade das „Falsche” besonders spannend. Im Idealfall sogar erhellend. Das funktioniert allerdings nur, wenn man eine gewisse Offenheit an den Tag legt, sich dem Fehler locker, ohne Vorurteile nähert. Schon allein deshalb ist die Ausstellung „Kampf um Troja” ein außergewöhnliches wie verblüffendes Präsent, mit dem sich Raimund Wünsche, der langjährige Chef der Antikensammlungen am Königsplatz, verabschiedet.

Am Allerheiligsten der Glyptothek, den Ägineten, führt der kulturhistorisch versierte Archäologe auf delikate Weise vor Augen, wie sehr wir selbst das längst Vergangene durch die modische Brille sehen. Farben, Formen, Formationen, egal. Und die hehre Wissenschaft ist davon nicht frei. Als die havarierten Helden vom Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina vor 200 Jahren entdeckt wurden, war glättende Klassizisten-Kosmetik angesagt. Perfekt und vollständig wollte Kronprinz Ludwig den Superfund präsentiert wissen, der auf einer Auktion ganz legal erworben wurde. Und Bertel Thorvaldsen war der WunschChirurg für die komplizierte Schönheits-OP.

Grieche schießt auf Griechen

Man mag das heute belächeln, Wünsches Vorvorgänger Dieter Ohly ließ die Ergänzungen in den 60er Jahren richtigerweise entfernen, doch Thorvaldsens Arbeit war exquisit und in weiten Teilen täuschend echt gelungen. Die damalige Kulturprominenz gab sich entzückt von dieser „Meisterschaft in der Kunst” (Friedrich Schlegel). Bauchweh hatten dagegen die Entdecker Carl Haller von Hallerstein und der Engländer Charles Cockerell. Vor allem aber Thorvaldsen, der natürlich wusste, was er mit den Fragmenten vor sich hatte, und eigentlich nur tragende Teile rekonstruieren wollte.

Jetzt sind Kunstmarmor-Abgüsse der Giebelfiguren samt ihrer fein aufbewahrten „Prothesen” zu sehen, und zwar so, wie sie von 1827 bis zum Zweiten Weltkrieg aufgestellt waren – unweit der Originale. Man kann man also wunderbar vergleichen. Wobei das noch größere Kuriosum eine Aufstellung war, die tatsächlich jeder Logik entbehrt und nicht selten für ungewollte Komik sorgt. Etwa wenn ein Grieche seinen ahnungslosen Heerkollegen direkt in den Hintern schießt. Oder Krieger mit ihrem Schild wie umgekippte Käfer auf dem Rücken liegen und gewisse Details die Erdanziehungskräfte gnadenlos ignorieren. Es sollte eben – typisch Klassizismus – in erster Linie gut ausschauen.

Leggings für die tapferen Krieger

Zur neu aufgefächerten, höchst unterhaltsamen Geschichte der Entdeckung und Rekonstruktion der Ägineten kommt noch etwas sehr Anschauliches. Wünsche und sein Team haben wieder einmal die Frage nach der Kolorierung aufgeworfen und dabei entdeckt, dass sich die antiken Heroen – fortschrittlich wie sie nun mal waren – die ersten Leggings überzogen. Eng anliegende, dehnbare Hosen. Sie wurden gesprangt, also in einer Art Knüpftechnik gefertigt, die noch im Mittelalter bei Mützen und dergleichen üblich war. Und weil das nur mit zwei, maximal drei Farben zu elastischen Ergebnissen führt, wurde schnell klar, dass man mit dem lange propagierten, ziemlich bunten Missoni-Stil nur einem vom Zeitgeist inspirierten, äußerst dekorativen Irrtum aufsaß.

Ein Bogenschütze trägt so eine gesprangte Hose – in leuchtenden roten und gelben Zacken. Auch das sei natürlich Spekulation, betont Wünsche. Und kommt damit nonchalant den Kritteleien der Nachwelt zuvor.

Kampf um Troja, bis 31. Januar 2012 in der Glyptothek, Begleitbuch 20 Euro

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