Dresden statt München

Das wochenlange Tauziehen ist beendet: Christian Thielemann, Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker, verlässt die Stadt und leitet ab 2012 die Dresdner Staatskapelle
von  Abendzeitung

Das wochenlange Tauziehen ist beendet: Christian Thielemann, Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker, verlässt die Stadt und leitet ab 2012 die Dresdner Staatskapelle

Mit der Verpflichtung zum Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle erfüllt sich für mich ein Traum“, sagt Christian Thielemann. Er vertauscht mit Beginn der Spielzeit 2012 die Philharmonie am Gasteig mit der Dresdner Semperoper und wechselt zu dem traditionsreichen Orchester, das Richard Wagner einst als „Wunderharfe“ bezeichnete.

Thielemanns Traum kann für München zum Alptraum werden. Er hat mehrfach und kategorisch ausgeschlossen, zwei Orchester gleichzeitig zu leiten. Daher bedeutet seine Entscheidung für die Staatskapelle die Scheidung von den Münchner Philharmonikern.

Der Streit um das Letztentscheidungsrecht

Zwischen ihm und dem Orchester der Stadt hing seit einiger Zeit der Haussegen schief. Trotz organisatorischer Querelen entschied sich eine große Mehrheit der Musiker zwar mit zusammengebissenen Zähnen aus künstlerischen Gründen für eine Verlängerung. Der Vertrag war reif zur Unterschrift, als das Orchester den Kulturreferenten Hans-Georg Küppers dazu aufforderte, Thielemann in letzter Minute das Letztentscheidungsrecht über das Engagement und die Programme von Gastdirigenten zu nehmen. Der Dirigent wollte dies nicht akzeptieren. Darauf beschloss der Stadtrat am 22. Juni mit einer Gegenstimme, den Vertrag Thielemanns nicht zu verlängern.

Während dieser Streit vor sich hin köchelte, entschied sich Dirigent Fabio Luisi aus heiterem Himmel für den Wechsel nach Zürich. Die vakante Staatskapelle musste Thielemann locken: Das Orchester hat eine reiche Strauss- und Wagner-Tradition. Der dunkel-warme Ton entspricht seiner Klangvorstellung. Weil viele Musiker ihren Sommerurlaub im Bayreuther Orchestergraben verbringen, schätzt man sich bereits seit langem gegenseitig.

Verbockt hat es nicht die Stadt, sondern das Orchester

Ein Münchner Philharmoniker möchte man in den nächsten Tagen nicht sein. Die Kritik der Musiker an Thielemanns Reise-Unlust, dem wankelmütigen Primadonnentum und seiner Weigerung, sie Brahms auch einmal unter einem Gast spielen zu lassen, hat viel für sich. Aber er ist mit Spätromantik einfach der Beste. Den vergrault man nicht ungestraft in einer Mischung aus Frust und Größenwahn, wie er dem Orchester der Stadt leider zu eigen ist.

Trotzdem waren die Differenzen kaum so groß, als dass sie unter vernünftigen Menschen nicht hätten bereinigt werden können. Ohne das Werben der Staatskapelle wäre Thielemann, getragen von einer Woge öffentlicher Unterstützung, wohl bei den Philharmonikern geblieben. Das bislang für Anfang nächster Woche anberaumte Verständigungs-Gespräch zwischen der Stadt München und Thielemann dürfte nun mangels Sinn ausfallen.

Die Zukunft wird schwierig

Die Angelegenheit hinterlässt einen Scherbenhaufen. Jeder Dirigent, der es noch nicht wusste, weiß nun, wie zickig die Philharmoniker sind. Er wird sich dreimal überlegen, dort Chef werden zu wollen. Weder die Stadt noch die Musiker haben einen Plan B für den nun eingetretenen Ernstfall in der Hinterhand. Einen potentiellen Nachfolger gibt es nicht, weil wegen Thielemanns Blockade viel zu wenige interessante Gastdirigenten mit dem Orchester arbeiten konnten und das Engagement aufstrebender Talente wie Gustavo Dudamel oder Robin Ticciati sträflich vernachlässigt wurde.

Freuen kann sich Ulrike Hessler. Sie ist derzeit noch Direktorin für Public Relations und Programmentwicklung an der Bayerischen Staatsoper und wird im kommenden Jahr als Intendantin an die Semperoper wechseln. Mit Thielemann besteht die einmalige Chance, dass vor sich hindümpelnde Haus wieder an vergangene Glanzzeiten heranzuführen. Aber auch sie dürfte wissen: Mit Thielemann läuft es anfangs prächtig, dann wird er schwierig und so etwa im verflixten siebten Jahr seines Vertrags inszeniert er dann einen Streit und flüchtet. Dieses Muster seiner Karriere wiederholte sich nach Nürnberg und Berlin nun auch in München. Und da der Mensch sich kaum ändert, werden auch in Dresden irgendwann die Fetzen fliegen.

Robert Braunmüller

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