Die wilde Weißbrotkartoffel
Jan Delay, auf Deutschland-Tour auch in München, über sein neues, nun fünftes Album "Wir Kinder vom Bahnhof Soul"
Es ist halbsieben. Abends. Der Chefstyler trägt heute Käppi und Sonnenbrille und residiert in einem abgetrennten Bereich auf der Dachterasse des Bayerischen Hofs. Eben ist das neue Album von Jan Delay erschienen - "Wir Kinder Vom Bahnhof Soul" (Universal). Als Delay die Brille für einen Moment abnimmt, sieht man seine müden Augen. Seit dem frühen Nachmittag gibt er Interviews im Halbstundentakt. Ja, es ist hart im Showgeschäft, das singt Delay ja auch gleich im ersten Song der neuen CD.
AZ: Schorsch Kamerun hat Sie "Wechselpseudonymer Nummer Eins" genannt.
JAN DELAY: Ohne Dir nahetreten zu wollen, war es schon als ich mit "Mercedes Dance" unterwegs war, out, darüber zu reden. Da Jan Delay inzwischen Funk macht und immer noch Jan Delay heisst, hat sich das erledigt. Der Sinn war, als ich Ende der 90er Rap gemacht hab' und Bock hatte, andere Sachen zu tun, sich auch anders zu nennen.
Als These: Zwischen den Künstlerpersönlichkeiten Rocko Schamoni und Jan Delay gibt es doch Ähnlichkeiten?
Definitiv. Er steht auch diesmal in der Widmung meiner Platte. Die Ähnlichkeit: Aus einer subkulturellen Szene zu kommen und sich dort nicht mit den Umständen, Normen und Regeln zufrieden zu geben. Einen Sinn für Humor zu haben und immer zu versuchen, die Leute aus dem eigenen Bereich vor den Kopf zu stossen, um ihnen ihre Scheuklappen bewusst zu machen. Gleichzeitig ein Faible zu haben für schöne kommerzielle Melodien und Interpreten und schwarze Musik, es aber selber nicht hundertprozentig drauf zu haben; weil man halt eine Weissbrotkartoffel ist.
Regionale Szenen sind nach wie vor wichtig?
Nicht regionale sondern auf Genres bezogene Szenen.
Es gibt doch eine spezielle Hamburger Szene, die Sie geprägt hat?
Aber für die Hamburger Szene waren damals die Stuttgarter, die Frankfurter und die Berliner Szene genauso wichtig. Es war eine grosse HipHop-Szene. Man brauchte die anderen als Inspiration und als Konkurrenz.
Hamburg ist aber pop-geschichtlich eine spezielle Stadt, durch den Hafen und die direkte Verbindung mit anderen Ländern.
Es ist nach wie vor so, dass in Hamburg eine grössere Offenheit herrscht. Das wird von Generation zu Generation weitergereicht. Deswegen gibt es auch mehr Förderung von Kultur und Subkultur.
Lösen sich Szenen im Internetzeitalter schneller auf?
Das hat nichts mit Internet zu tun, sondern mit einer bestimmten Zeit, einem Ort und einem Zusammengehörigkeitsgefühl, gleichen Interessen, Meinungen oder Musik. Das geht seinen Gang, wie Freundschaften. Ich sage der HipHop-Clique immer: Vor zehn Jahren habt ihr einen Freundeskreis gehabt, der mit dem heutigen nicht deckungsgleich ist. Und zwar nicht, weil man sich zerstritten hat.
Der Mut, Schnitte zu machen, ist ein Teil Ihres Schaffens.
Ist das Mut? Nach dieser Platte und ihrer Funk-Ausrichtung noch so eine Platte zu machen, ist viel schwieriger, als dann eine Rockplatte einzuspielen und naiv und befreit an die Sache heranzugehen.
Viele Künstler sind in Erwartungsdruck gefangen.
Ich will mich niemals wiederholen. Ich kenne die Pop-Szene zu gut, als dass ich das mit mir passieren lassen möchte.
Es gibt nur wenige Künstler, die sich immer neu erfinden können.
Das ist ja pupseinfach, es geht aber darum, dass du es auch gut umsetzen kannst.
Gibt es Vorbilder für einen deutschen Funk-Style?
Die erste Nina-Hagen-Platte mit den späteren Spliff ist für mich die beste deutschsprachige Platte aller Zeiten. Das war meine Messlatte, damit bin ich aufgewachsen. Unser Sound ist noch ein bisschen fetter, ich habe Computertechnologie, alle neue Möglichkeiten. Aber die waren damals genauso gut.
Aber durch die zeitliche Distanz schafft ihr wieder Aktualität.
Auf jeden Fall. Deshalb sind auch nur drei Retro-Lieder drauf. Aber mit meinen Texten und meiner Stimme ist es dann auch etwas Eigenes. Du musst das in die Jetztzeit holen. Das Rezept einer richtig guten Platte ist: Du musst gleichzeitig zeitlos sein und zeitgemäss.
Der Aufnahmesound überdauert die Zeit doch nie.Der Aufnahmesound überdauert die Zeit doch nie.
Der Sound, dem wir nachgeeifert haben, der Funk-Pop Ende der 70er, war der beste Sound aller Zeiten, der Zenit der analogen Aufnahmetechnik. Alles klingt so brillant und warm, wie es der HipHop immer versucht hat, abzukupfern.
Habt ihr analog aufgenommen?
Ja, nach der wichtigen Regel: Erst Proberaum-Sessions, dann habe ich die Songs geschrieben, Demos eingesungen, dann geprobt und arrangiert und das Studio ausgesucht.
Christian Jooss
"Wir Kinder vom Bahnhof Soul" (Universal)