Die Verhältnisse schreien nach Wodka

Ein Moskau-Thriller um Arkadi Renko: „Die goldene Meile“ von Martin Cruz Smith
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Ein Moskau-Thriller um Arkadi Renko: „Die goldene Meile“ von Martin Cruz Smith

Krimileser sind schwierige Kunden. Wenn auf den ersten Seiten ein Baby geklaut und im zweiten Kapitel eine Prostituierte tot aufgefunden wird, erwartet der Leser im weiteren Verlauf eine Verbindung der Fälle. Knüpft der Autor diese Fäden, so seufzt man: wie konventionell! Bleibt die Welt chaotisch und zusammenhanglos wie das wirkliche Leben, ist das auch irgendwie enttäuschend.

Wie es der Amerikaner Martin Cruz Smith damit hält, verraten wir nicht. Noch vor Glasnost und Perestroika, mitten im Kalten Krieg, erschien 1981 sein Moskau-Krimi „Gorki Park“, der später auch verfilmt wurde. Die russische Metropole ließ ihn nicht los. Die weiteren Geschichten um Arkadi Renko waren weniger erfolgreich. Mit „Stalins Geist“ gelang ihm 2008 ein allerdings scharfes Porträt des Brutalkapitalismus’ unter Putin.

Der ist noch immer an der der Macht, und die Verhältnisse rufen weiter nach Wodka. Renkos neuer Fall „Die goldene Meile“ geriet wieder etwas schematischer. Junge Autoren wie Tom Rob Smith („Kind 44“) oder David Benioff („Stadt der Diebe“) schreiben über Russland dichter. Suspendierte Ermittler und zynische Pathologen haben mittlerweile nur noch einen geringen Neuigkeitswert, weil sie jeden Sonntags-„Tatort“ bevölkern. Martin Cruz Smith scheut Versatzstücke wie russisches Ballett, ein Schachgenie, mit einem Fuß im Gefängnis steckende Magnaten ebenso wenig wie die auch von der Kreml-Propaganda gern beschworenen Gangster aus Mittelasien.

Wie es sich für einen guten Thriller gehört, lernt der Leser einen Ort jenseits touristischer Zentren kennen. Die Geschichte spielt im Milieu einer Klebstoff schnüffelnden Jugendbande. Sie beherrscht den Moskauer Platz der Drei Bahnhöfe, wo die Züge nach Kasan, Sankt Petersburg und die Transsibirische Eisenbahn abfahren. Sogar einen verstaubten Konzertflügel scheint es dort in einer der Wartehallen zu geben.

Weniger kultiviert geht es im Straßenverkehr zu: Als ein schicker BMW einem alten Volvo den Parkplatz streitig machen will, holt der Fahrer der schwedischen Rostlaube eine Schaufel und drischt auf die Motorhaube der Luxuskarosse ein. Da freut man sich dann doch, in sichereren Gegenden sein Auto abstellen zu dürfen.

Robert Braunmüller

Martin Cruz Smith: „Die goldene Meile“ (Bertelsmann, 256 Seiten, 19.95 Euro)

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