Die Vergangenheit immer im Visier

Der Rohbau des NS-Dokuzentrums steht – Gründungsdirektor Winfried Nerdinger über die Ausstellung, Bezüge zur Gegenwart und Zukunftswünsche
Christa Sigg |
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Weit über zwanzig Jahre hat er für das NS-Dokumentationszentrum gekämpft. Nun nimmt es sichtbar Form an, 2014 ist die Eröffnung geplant, die Winfried Nerdinger als Direktor begleitet.

AZ: Herr Nerdinger, steigt die Zufriedenheit mit jedem Bauabschnitt?
WINFRIED NERDINGER: Zufrieden bin ich hoffentlich, wenn wir das Ganze eröffnen.
Bis dahin ist noch viel zu tun, aber ich bin zuversichtlich.

Wie sollen Besucher das Zentrum verlassen?
Mit dem Wissen, weshalb und wie der Nationalsozialismus in München entstanden ist, was er für die Stadt, aber auch ganz allgemein bedeutet hat und wie diese Zeit bis heute nachwirkt. Die entscheidende Frage lautet: Was geht mich das heute noch an? Deshalb soll man in der Ausstellung Mechanismen, Strukturen und Zusammenhänge erkennen und verstehen, die auch heute noch immer wieder unsere Gesellschaft bedrohen.

Dann spielt im Haus auch die Gegenwart eine wichtige Rolle.
Genau. Die Ausstellung wird mit aktuellen rassistischen und rechtsradikalen Ereignissen enden, um zu zeigen, dass uns der Nationalsozialismus noch heute beschäftigen muss.

Wie darf man sich den Ablauf vorstellen?
Der Rundgang beginnt im vierten Obergeschoss, mit der Zeit der Weimarer Republik – vom Ersten Weltkrieg bis zur Machtergreifung 1933. Im dritten Stock geht es um die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg, hier wird die Ausgrenzungsgesellschaft behandelt, die jene ausschließt und bald vernichtet, die ihr nicht ins ideologisch konstruierte Konzept passen: Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, so genannte Geisteskranke. Dann folgt im zweiten Obergeschoss der Bereich „München im Krieg”, an den sich die Zeit nach 1945 anschließt, mit der Entnazifizierung, aber auch dem Fortleben von nazistischem Gedankengut und den Karrieren, die nahtlos weitergingen. Schließlich geht es im ersten Stock darum, den Umgang mit Täter- und Opfer-Orten sichtbar zu machen. Wo sind sie sonst noch in München und Bayern zu finden?

Manche meinen, das Zentrum sei zu klein für Ihr Vorhaben.
Man kann sich immer alles größer wünschen. Aber über 1000 Quadratmeter für eine Dauerausstellung, dazu ein Raum für Wechselausstellungen von fast 300 Quadratmetern, eine Ebene, wo selbst große Gruppen Themen am Computer vertiefen können, und ein großer Raum für Veranstaltungen sollten wirklich ausreichen, das Wichtigste zu vermitteln.

Zeigen Sie Objekte der NS-Zeit?
Nein. Wir zeigen weder Uniformen noch Ehrendolche. Es ist ein Dokumentationszentrum, kein Museum. Solche Objekte erfordern immer eine entsprechende Präsentation, damit werden sie automatisch ästhetisiert und letztlich auch auratisiert. Genau das soll an diesem Täter-Ort nicht stattfinden.

Junge Menschen wachsen heute mit Animationen und imposanten technischen Spielereien auf. Wie wollen Sie diesem medialen Wandel gerecht werden?
Mir ist es sehr wichtig, dass hier keine virtuellen Scheinwelten produziert werden. Unser Ausgangspunkt ist der authentische Ort. Die ganze Ausstellung ist so konzipiert, dass man immer wieder einen Blick auf die entsprechenden Plätze richten kann: den Königsplatz, die Ehrentempel, den Führerbau, die Parteizentrale. Das liegt hier alles eng beieinander. An der Stelle, wo beispielsweise in der Ausstellung München zur Hauptstadt der Bewegung deklariert wird, kann ich genau auf das Viertel schauen, wo die ganzen Parteiinstitutionen waren, die dann erklärt werden. Hier soll nichts vorgespielt werden. In der Vertiefungsebene, wo man sich je nach Interesse weiter informieren kann, werden wir allerdings Touchscreens und Ähnliches einsetzen.

Wie schaffen Sie den Spagat zwischen gut vorgebildeten Besuchern und Schülern, für die vieles neu sein wird?
Das ist das Grundproblem jeder Ausstellung. Man kann so ein Zentrum nicht für eine einzelne Gruppe, wie etwa Jugendliche, konzipieren. Was wäre dann mit den Besuchern aus dem Ausland, mit den Zeitzeugen, überhaupt den Älteren? Wir wenden uns an alle interessierten Besucher, die sich über die NS-Zeit in München informieren möchten. Und dabei soll auch ein Fachmann noch Neues erfahren können.

Wie muss es weitergehen, wenn das NS-Dokumentationszentrum 2014 öffnet?
Ich würde mir wünschen, dass das Haus zu einem lebendigen Zentrum der Auseinandersetzung mit NS-Geschichte und NS-Ideen wird, aber auch, dass man auf Grund dieses Erinnerungs- und Lernortes sensibler und historisch bewusster mit anderen Täter-Orten in der Stadt, etwa der Feldherrnhalle oder der ehemaligen Gauleitung, umgeht.

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