Die Semmelpreise und ein Todesvoyeur

Jörg Maurers satirischer Heimatkrimi um Mord, Mücken und Mafia: „Niedertracht”
Michael Stadler |
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Doch, doch, auch in den idyllischen Alpen spritzt Blut, in einer Fontäne sogar, was man schon verwerflich finden könnte, wenn hier nicht eine Kriebelmücke am Werke wäre. Mal mikroskopisch dicht herangehen, das kann nicht schaden, mag sich Jörg Maurer gedacht haben, wobei er den Krimileser mit der Insektentat aus Lupennähe – mehrere Attacken in die Haut des Bürgermeisters! – auf den Arm nimmt: Blutvergießen findet man unschön, aber in so einem Thriller darf es schon a bisserl mehr sein.

Dass Maurer auch Kabarettist ist, in München auch als Regisseur, Darsteller, Musiker, sowie einstmals Betreiber von „Jörg Maurers Unterton” in Schwabing, merkt man seinen Krimis an. „Niedertracht" ist sein dritter. Mit einem Eifersuchtsdrama in einem Lokal legt Maurer los, der Dialog eines Paars – hat der Mann nun einer Dunkelhaarigen nachgeglotzt oder nicht? – setzt einen humoristischen Grundton, der im Hin und Her von Beobachtungen, Annahmen und Schlussfolgerungen auch kriminalistisch klingt.

Die Polizeiarbeit ist wie die Liebe ein Ratespiel, besonders, wenn Kommissar Jennerwein mit seinen Kollegen versucht, die Indizien in einem todernsten Fall zu deuten. Im schönen Kurort, der sich als Maurers Heimat Garmische identifizieren lässt, herrscht Aufruhr: In den Bergen wurde ein Mann in einer Felsnische gefunden, mumifiziert, seit Wochen tot.

Ums Mördererrätseln geht es kaum, sondern um das geschickte Vernetzen seiner wild gesponnenen Handlungsfäden sowie die soziologisch-kabarettistische Betrachtung des Alpenpersonals zwischen Touristenmoderne und Trachtentradition. Beim epischen Streit um den Preis von zwei Semmeln beim Bäcker gerät der Kriminalfall seitenlang ins Hintertreffen, den Täter verrät Maurer bald: Ein Einwohner ist's, der Wanderer k.o. setzt und in Felsnischen aussetzt, um sie von fern beim Sterben zu beobachten. Was macht der Mensch, wenn er weiß, der Tod kommt? Der Psychopath findet dazu wenig heraus, weil Maurer viele Perspektiven antippt, so viele, dass selbst sein Jennerwein nur begrenzten Erzählraum hat. Immerhin sieht der Kommissar aus wie Hugh Grant und kommt der Polizeipsychologin erotisch-brenzlig nahe.

Auch Mafiosi ziehen in dem Kurort dunkle Kreise, wollen die wichtigsten Belange mit Hilfe von Kriebelmücken steuern - einen Drahtseilakt in Sachen Konstruktion legt Maurer hin, und er hält dank seines leichtfüßigen Humors die Balance.

Jörg Maurer: „Niedertracht" (Fischer, 384 Seiten, 8.99 Euro). Die Lesung am Samstag im Volkstheater ist ausverkauft.

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