Die Schatten der Vergangenheit

Wegen seiner Tattoos, die man als Nazi- Symbole deuten kann, verlässt Evgeny Nikitin kurz vor der Premiere des neuen „Holländers” den Grünen Hügel
Christa Sigg |
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Er würde viel drum geben, wenn ihm jemand diese Tattoos komplett entfernen könnte. Evgeny Nikitin, der bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele am Mittwoch die Titelpartie im neuen „Holländer” singen sollte, hat das schon vor Monaten bekannt. So als ahnte er, was da auf ihn zukommen könnte.

Dass seine Brustdeko nun so schnell als Sammelsurium deutlicher Nazisymbole entlarvt wurde, muss den russischen Bassbariton selbst völlig geschockt haben. Nach einem kurzen Gespräch mit den Festspielchefinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier reiste er am Samstagvormittag ab. Und damit ist man auf dem Hügel haarscharf an einem Premierenskandal vorbeigeschrammt.

Hakenkreuz auf einem Youtube-Video

Nikitins brisantestes Tattoo indes ist längst unter einem neuen farbintensiven Motiv verschwunden – aber auf einem Youtube-Video noch zu sehen. Über der rechten Brust prangt dort ein Zeichenknäuel, in dem man ein Hakenkreuz erkennen kann. Doch auch die restlichen Überbleibsel aus der Black-Metal-Phase des freundlich zurückhaltenden Sängers sind alles andere als harmlos: Die „Lebensrune” unterm Adamsapfel war beim SS-Verein Lebensborn und der NS-Frauenschaft beliebt, die pfeilförmige Kampf- oder Tyr-Rune überm Brustbein wurde von erfolgreichen Absolventen der Reichsführerschulen der NSDAP über der Hakenkreuzbinde getragen.

Der 38-jährige Opernstar, der 2002 an der New Yorker Met debütierte und 2008 erstmals an der Bayerischen Staatsoper als Jochanaan zu hören war, hat sich die Tätowierungen im Alter zwischen 16 und 18 stechen lassen. Da saß er noch an den Drums einer Band. Die Motive wählte er aus Büchern über nordische Mythen und Katalogen, die im Tattoo-Shop auslagen. Wahrscheinlich, ohne deren wahre Bedeutung zu kennen.

Nikitin, der kein Wort Deutsch spricht, betonte mehrmals, dass diese Zeichen für ihn keinerlei politische, sondern nur eine spirituelle Bedeutung hätten. Das ist in Metal- oder Hardrock-Kreisen nichts Ungewöhnliches (siehe Kasten), doch der von Valery Gergiev geförderte Künstler räumt den „großen Fehler seines Lebens” ein. „Mir war die Tragweite der Irritationen und Verletzungen nicht bewusst, die diese Symbole besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte auslösen”, teilte er in einer schriftlichen Stellungnahme mit.

Ein Abgang wie im "Holländer"

Ob Nikitin die Konsequenzen ganz freiwillig gezogen hat, ist zu bezweifeln. Da dürften die erst durch den Beitrag des ZDF-Kulturmagazins „Aspekte” aufmerksam gewordenen Wagner-Schwestern nachgeholfen haben. Kopflose Jugendsünde hin oder her, am Grünen Hügel ist man tunlichst darauf bedacht, sich von der braunen Vergangenheit zu distanzieren. Das mag das Gelingen der Premiere am Mittwoch, zu der Prominente aus Politik, Wirtschaft und Show-Bizz über den roten Teppich marschieren, noch so sehr torpedieren. Wobei in jedem Haus Ersatz bereit steht, falls die A-Besetzung kränkelt. In Bayreuth bekommt nun der Südkoreaner Samuel Youn – er hat den Holländer bereits in Köln mit Erfolg gesungen – seine große Chance.

Die hätte es auf ganz anderer Ebene auch für den weltweit gefeierten Nikitin sein sollen. „Ich bin der erste Russe, der den Holländer in Bayreuth singt”, hat er noch im Gespräch mit der AZ gejubelt. Die Partie, mit der er zu Hause am Mariinsky-Theater und kürzlich in Tokio die Fans begeistern konnte, sollte sein Einstand im Wagner-Gral sein. Erst dann sei man wirklicher Wagner-Sänger, hat er immer gesagt. Aber einen Weg zurück auf den Hügel wird es wohl nicht geben. Dafür war sein Abgang absolut „Holländer”-mäßig.

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