Die Sänger sitzen bequem
Salzburg: Rossinis „Moïse et Pharaon“ im Großen Festspielhaus inszeniert von Jürgen Flimm und dirigiert von Riccardo Muti
Eine theologisch nicht nicht immer korrekte Bibelstunde: Die zehn Gebote werden schon in Ägypten und nicht erst auf dem Sinai verkündet. Einem eingefleischten Opernfan mag das egal sein, Hauptsache, die Musik stimmt. Weil der italienische Stardirigent Muti „Moïse et Pharaon“ für eines der bedeutendsten Werke Rossinis hät und bei den Salzburger Festspielen längst zur grauen Eminenz mutiert ist, kam jetzt die 1827 in Paris uraufgeführte Oper als letzte Premiere zu unverhofften Ehren.
Das Publikum reagierte gespalten. Kein Wunder: der Auszug der Israeliten aus Ägypten, die Flucht durch das rote Meer, dazu die unglückliche Love-Story zwischen einer Jüdin und dem Sohn des Pharao, das alles garniert mit einer selbst im grössten Schmerz noch angenehm tröpfelnden Musik, die bis auf eine Ausnahme in keiner Phase Mozarts Seria-Qualitäten erreicht – da ist schon erhebliche Toleranz vonnöten.
Der Höhepunkt auf der G-Saite würde eigentlich reichen
Den musikalischen Höhepunkt servierte denn auch der Maestro mit herzergreifendem Pathos: Die „Preghiera“ im vierten Akt zählt neben Verdis „Gefangenenchor“ zu den absoluten Hits italienischer Opern-Romantik. Paganini hat daraus – ausschließlich auf der G-Saite zu spielen – ein hinreißendes Violinschmankerl gezaubert. Nach diesem Gebet fallen den Hebräern die Ketten von den Händen. Die Flucht kann beginnen.
In der kläglichen Inszenierung des Noch-Intendanten Jürgen Flimm drängelten sich die Akteure durch einen einen kleinen Spalt in der Kulisse in die Freiheit. Wie soll man schon szenisch glaubhaft zeigen, dass sich das Meer teilt. Aber gar so simpel will man es dann doch nicht sehen. Zuvor trotzten die Hebräer in einer geschlossenen, zeitlosen Turmkonstruktion (Bühne: Ferdinand Wögerbauer) weitgehend erfolgreich ägyptischen Attacken. Der Wiener Staatsopernchor befand sich fast ständig auf der Bühne. Flimm dagegen versteckte sich. Etwa vorhandene Einfälle einer sinnvollen Personenregie zügelte er clever zugunsten schicker Massen-Arrangements.
Am Pult: Ein Vollständigkeitsfanatiker
Während Juden und Ägypter auf den Dirigenten blickten, durften es sich die Hauptakteure an der Rampe in Sesseln, die mit weißen Tüchern bedeckt waren, bequem machen. Manchmal schloss sich auch der Vorhang bis auf einen kleinen Spalt für ein oder zwei Sänger. Was ist das doch für ein ausgebuffter Regie-Einfall, um den riesigen Dimensionen des Großen Festspielhauses zu Leibe zu rücken!
Dass sich der Vollständigkeitsfanatiker Muti die Ballettmusik nicht nehmen ließ, war vorauszusehen. Schließlich spielte man die französische Fassung, und in Paris waren Tanz-Einlagen unumgänglich. Doch statt den Mut zu haben, diese zwanzig Minuten mit einer angemessenen Choreographie zu füllen, verplemperte man die Zeit damit, den Vorhang abwechselnd auf- und zugehen zu lassen und Bibeltexte zu projizieren.
Festspielwürdig war allenfalls die musikalische Seite. Die vom Dirigenten mächtig unter Druck gesetzten Wiener Philharmoniker unterstützten die melodische Bildhaftigkeit der pathetisch-pompösen Chor-Ensembles mit Intensität und jener klanglichen Souveränität, die man von ihnen erwartet. Über die zu recht mit kräftigem Buh abgestrafte Inszenierung konnten auch die guten Sänger wie Ildar Abdrazakov in der Titelpartie, Nicola Alaimo als Pharao, Nino Surgoladze als dessen Frau Sinaide sowie das Liebespaar Eric Cutler (Aménophis) und Marina Rebeka (Anaï) nicht hinweg trösten: Eine konzertante Wiederbelebung hätte genügt.
Volker Boser