Die Poesie des Körpers
Zum 75. Geburtstag des großen kanadischen Liedermachers und Dichters Leonard Cohen veröffentlicht der Blumenbar Verlag dessen Debütroman aus dem Jahr 1963
Das Lieblingsspiel“ aus dem Titel von Leonard Cohens erstem Roman wird am Schluss des Buches beschrieben: Kinder schleudern sich gegenseitig in den Schnee, fallen in verrückten Formen und bemühen sich, beim Aufstehen das Außergewöhnliche ihres Abdrucks zu erhalten. Vielleicht ist das das eindrücklichste Bild, das Cohens eigenes Dichterbemühen beschreibt – den Versuch, den Abdruck der Körper in Worten hörbar zu machen.
Am Montag wird der kanadische Poet 75. Und wer spüren will, was das Werk und Leben Cohens antreibt und formt, bekommt im 1963 veröffentlichten und jetzt neu von Gregor Hens ins Deutsche übersetzten „Lieblingsspiel“ eine Ahnung. Tatsächlich begann Cohen eine Karriere als Schriftsteller und hatte damit in seiner Heimat auch beachtlichen Erfolg, bevor er international als singender Folk-Dichter bekannt wurde.
Breavman heißt die Figur, die Cohen hier durch Kindheit und Jugend bis zur ersten beruflichen Orientierung schreibt. Und natürlich steckt viel, wenn nicht fast der ganze junge Cohen in dieser Figur. „Er verstand es, mit der gleichen vieldeutigen Tragik am Kamin zu lehnen wie der blinde Samson an den Säulen des Tempels“, heißt es mit erkennbarer ironischer Distanz über die ersten Dichterposen Breavmans. Aufwachsen tut dieser mit dem ständig präsenten Gefühl des Andersseins als Jude in Montreal. Der Vater stirbt, wie Cohens Vater, früh. Seine Beerdingung erlebt der Junge in unwirklicher Distanz zu den Ritualen der Trauer. Wer sich für die Parallelen zu Cohens Biografie, dem Leben im jüdischen Mittelstand zwischen intellektuellen Ansätzen und Herrenkonfektionsfirma interessiert, dem sei Ira B. Nadels kluge Biografie „Various Positions“ empfohlen.
„Das Lieblingsspiel“ ist ein wunderbares, leichtes, manchmal grausames Buch über das Dichten: „Kinder zeigen Narben wie Auszeichnungen vor, Liebende machen Geheimnisse daraus, die sie enthüllen. Eine Narbe entsteht, wenn das Wort Fleisch geworden ist“, heißt es. Das Wort schafft das Unperfekte und das wird im Spiel ergründet.
Breavman ist ein Schillerscher homo ludens. Einer, der spielerisch und aus Versehen eine Ratte tötet, später mit seinem Freund Kranz einen Frosch seziert. Dem Tod nähert er sich so, er sieht ihn noch nicht, denn das Spiel schützt ihn.
Mechanischen Sex gibt es in diesem Buch nicht, es gibt Körpererkundung, die sich für Armhärchen und Schatten auf der Haut interessiert. Und es gibt den Dichter, der den Schwingungen lauscht, die vibrieren, wenn eine Person den Raum verlassen hat: „Wenn du mich zu dir nimmst / um mir zu sagen / dass du nicht schön bist / sei meine Haut ein Spiegel / meine Hände / wie Wasser in das du / ein Lächeln wirfst“. Reinster Cohen im Munde Breavmans. Diese Gedichte markieren das Ende einer leichten Leichtsinnigkeit im Tändeln mit den Mädchen. Breavman hat Shell kennengelernt. Cohen verewigt hier seine dunkelhaarige New Yorker Bekanntschaft Anne Sherman. „Sie lernte schnell, aber keine Frau ist so schön, dass sie nicht wünscht, ihre Schönheit würde besungen.“
Als Cohen „Das Lieblingsspiel“ schrieb, saß er auf der griechischen Insel Hydra. Die Versuche, Anne Sherman zu bewegen, zu ihm zu kommen, waren zwecklos. Später sollte sie einen New Yorker Innenarchitekten heiraten.
Die Ahnung, die Breavman überkommt, ist die Kluft zwischen Wort und Körper, zwischen Epitaph und Tod, zwischen Liebesgedicht und Liebe. Und aus dieser Perspektive wird Cohens eigene Hinwendung zur Zen-Meditation, zum Rückzug in ein buddhistisches Kloster nicht nur als Versuch verständlich, die eigenen Depressionen in den Griff zu bekommen. Seinen Geburtstag begeht er am Montag mit einem Konzert in Barcelona. Das Bemühen, Leben und Lieben auf die Bühne zu bringen, muss immer wieder von neuem versucht werden, um das Unvollkommene zu spüren. Das ist die Schönheit, die Cohen schon als junger Mann geahnt, im Alter begriffen hat. Christian Jooß
„Das Lieblingsspiel“ (Blumenbar, 318 Seiten, 19.90 Euro)
- Themen:
- Trauer