Die Nervtröte

Der Profi ist gefragt: Guido Segers, Solo-Trompeter der Münchner Philharmoniker, versucht für die AZ, der Vuvuzela so etwas wie eine Melodie zu entlocken
von  Abendzeitung

Der Profi ist gefragt: Guido Segers, Solo-Trompeter der Münchner Philharmoniker, versucht für die AZ, der Vuvuzela so etwas wie eine Melodie zu entlocken

"Die Farben sind schon mal falsch", sagt Guido Segers beim Zusammenstecken des dreiteiligen Plastikinstruments. Der Musiker stammt aus Belgien, dem Land mit der schwarzgoldroten Flagge. Bei schlampigem Hinsehen kann sie im Stadion schon einmal mit der bundesdeutschen Fahne verwechselt werden.

Bei der jetzigen WM besteht keine Gefahr, weil sich die Belgier nicht qualifizieren konnten. Segers schmerzt das naturgemäss. Aber wir wollten mit dem Solo-Trompeter der Münchner Philharmoniker gar nicht über Fussball reden: Uns interessierte, ob ein Profi aus der südafrikanischen Nervtröte mehr herausbringt als das Röhren eines Elefanten, das in der Massierung eines Stadions und im Fernsehen nach wildgewordenen Wespen klingt.

Vuvuzelas sind Naturtrompeten aus Plastik. "Der Grundton hängt von der Rohrlänge ab", erklärt Segers. "Theoretisch müssten wie auf alten Instrumenten ohne Ventil ein paar Töne der Naturtonreihe herauszubringen sein. Dafür reicht eine Veränderung der Lippenspannung aus." Praktisch scheitert der Profi: Quäkend schafft er gerade mal die Quinte und die Oktave zum Grundton, was für anständige Melodien wie den fussballtauglichen Triumphmarsch aus Verdis "Aida" keinesfalls ausreicht.

Laut wie ein Düsenjäger

Schon klopfen die ersten Genervten an die Tür des Besprechungszimmers in der philharmonischen Chefetage am Gasteig. Auch hier macht die Vuvuzela ihrem Namen Ehre: In einer Bantusprache soll das Wort "Lärm machen" bedeuten. Dabei probiert Segers das Ding nur mit halbem Atemdruck: "Wenn ich fest reinblase, würde wahrscheinlich die Decke herunterkommen", fürchtet Segers. Die oft zitierten 120 Dezibel, die einem Düsenjäger in 100 Metern Entfernung oder Richard Wagners "Walkürenritt" entsprechen, wirken auch ohne exakte Messung glaubhaft.

Ein Trompeter macht aber keinen Lärm, sondern Musik. Deshalb hält sich die Begeisterung des auch am humoristischen Ensemble "Blechschaden" beteiligten Musikers über die Vuvuzela in engen Grenzen. Woran liegt es aber, dass das Instrument gar so scheusslich klingt? Segers steckt eines seiner Trompetenmundstücke aus Messing in die Tröte: Die Naturtöne klingen gleich viel sauberer, wenngleich noch immer durch das Plastik des Rohrs verzerrt.

Die Musikrevolution fällt aus

Mit einem richtig geformten Mundstück aus Metall lassen sich notfalls auch auf einem Gartenschlauch schöne Melodien blasen. Es steckt also viel Weisheit hinter der viertausendjährigen Menschheits-Erfahrung, die bis zu den germanischen Bronze-Luren und den Silbertrompeten im Grab Tutanchamuns zurückreicht: Am besten schmettert es sich mit Metall.

Auch die ersten Vuvuzelas waren um 1990 in Südafrika noch aus Blech und Zinn. Zum populären Traditionsinstrument wurde die Töte erst vor kaum zehn Jahren: 2001 ging die Kapstädter Firma Masincedane Sport zur Massenfertigung in Plastik über. Die Menschheit ist seitdem um eine Nervensäge reicher, aber eine Revolutionierung der Musik dürfte glücklicherweise nicht zu befürchten sein.

Robert Braunmüller

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