Die Macht der Gewohnheit
Aus gewissen Abläufen kommt der Mensch schwer raus. Selbst ein Festivalbesucher ist darauf konditioniert, auf bestimmte Reize zu reagieren. Ist das Wetter schön, muss ein Mitarbeiter des Volkstheaters nur mit der Glocke läuten, was nicht den Speichelfluss anregt, aber man geht doch rein ins Haus. „God Is A DJ” war es am Sonntag, und es war die erste nicht ausverkaufte Vorstellung des Festivals junger Regisseure, die erste fremdsprachige dazu: Serbisch, übertitelt – auch das löst wohl Reflexe bei Münchner Theatergängern aus: Wird man das verstehen?
Es war zu verstehen und zunächst mal ein anstrengender Abend, weil das Stück von Falk Richter aus den späten Neunzigern eine wortlastige Performance zweier Diskurspositionen ist. „Er” und „Sie” sitzen in einem Zimmer und filmen sich, spielen ihre Beziehung nach, um die Aufnahmen als Kunstprojekt irgendwann zu zeigen. Gefilmt wird aber in der Inszenierung von Miloš Lolic für das Kleine Theater „DuŠko Radovic” in Belgrad nicht. Allein das Publikum schaut, ein unkontrollierbarer, doch lenkbarer Blick. Da steht ein Tisch vor dem roten Vorhang, Nikola Vujovic liest sitzend den langen Eingangsmonolog vor – erstmal eine Lesung, und der deutsche Zuschauer hat sich daran zu gewöhnen. Blick hoch zu den Übertiteln, runter zu ihm und auch zu Vladislava Djordjevic, die „Sie” spielt. Auch das ein Seherlebnis, und man schafft es nicht, nur zuzuschauen.
DJ sei Dank hat Lolic in das Stück von Richter Re-Inszenierungen von Musikvideos hineingesampelt. Rot leuchten die Lampen, es ertönt ein Signal, kein Glockenläuten, eher Bombenalarm, und „Er” und „Sie” folgen automatisch. Vier Kinder kommen dazu, tanzen mit ihnen zu wummernden Hits der 1990er. „Rhythm Is A Dancer”, wie wahr. Stoisch ernst ahmen sie diese MTV-Bildwelten nach, was so rotzfrech ist wie die ganze Show.
Lolic hat sich Richters Stück gepackt und in seinen eigenen politischen Kontext implantiert. Später erzählt er, dass die serbischen Jugendlichen Anfang der Neunziger stets MTV gesehen haben. Das war der Soundtrack des Krieges. Bei ihnen werden diese Szenen Erinnerungen auslösen, vielleicht falsche, ganz andere wie beim deutschen Zuschauer. Der anwesende Falk Richter meinte danach beim Publikumsgespräch, die imitierten Gesten wirkten auf ihn erschreckend „faschistisch”.
Der Transfer hin nach Serbien und nochmal zurück, das war aufschlussreich, ein gelungenes Experiment. Lolic lässt seine Akteure ermüden, bis sie nicht mehr funktionieren, zum Techno von Scooter erstarren. Völlige Katatonie. Das wirkte fast wie eine Form des Widerstands, und konnte doch nur Teil der Performance sein.
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