Die Leiden des jungen S.
Die Provinz hat für einen Schauspieler schon immer leisen Horror fürs Ego parat, der Verdacht liegt nahe, in der Mittelmäßigkeit angekommen zu sein: Wird jenseits der Großstädte denn großes Theater gemacht? Die Hölle, das kann auch Wunsiedel sein, diese oberfränkische Kleinstadt im Fichtelgebirge, Geburtsort von Jean Paul, wo es den Ich-Erzähler von Michael Buselmeiers Roman gleich zweimal hinverschlägt: als jungen Schauspieler 1964, und 44 Jahre später, als gealterten Mann, der auf die bittere Vergangenheit so unmittelbar zurückblickt, als sei es gestern gewesen.
Dieser Moritz Schoppe ist schon als junger Mann eigentlich ein Literat und Kritiker, denn er beurteilt das Theater und besonders dessen Fehlbarkeiten mehr, als dass er sich in diese Welt hineinfallen lassen würde. Völliges Aufgehen in der Rolle ist nicht seine Sache, und so schlagen alle Bewerbungen fehl, bis er nach Wunsiedel eingeladen wird, gar als Dramaturg, denn er soll Johann Wolfgang von Goethe Frühwerk „Götz von Berlichingen” bearbeiten.
Wo einst Züge fuhren, halten nur noch Busse - und die Stadt ist leer
Der Intellektuelle hat ein Problem, wenn er sich für intellektuell überlegen hält, besonders wenn er den Wunsch spürt, Schauspieler zu sein. Buselmeier hat, wenn man es angesichts des altmodischen Erzähltons des Helden und der doch modernen vielschichtigen Konstruktion dieses Theaterromans so flapsig ausdrücken darf, einen Loser-Roman geschrieben, über einen Außenseiter, dem man Feingeistigkeit, aber auch Bildungsdünkel attestieren kann. Die Positionen in diesem Roman erscheinen beide angreifenswert: In seiner Goethe-Bearbeitung wirft der Ich-Erzähler alle folkloristisch-populären Elemente heraus und erarbeitet eine „strenge” Fassung, die, kein Wunder, abgelehnt wird. Der Intendant, der Schoppe geholt hat, stirbt, und der Nachfolger macht schlichtes Provinztheater für die Massen, was, und auch das versteht man, Schoppe in Rage bringt.
Die goldene Mitte zwischen Theaterrausch und geistiger Größe findet sich nicht. Auch wegen seiner Arroganz darf Schoppe nur Statistenrollen spielen. Seine zehn Wochen in Wunsiedel werden zugleich zur privaten Tortur, weil seine Geliebte in der Heidelbergschen Heimat ihm bald schreibt, dass ein ehemaliger Liebhaber wieder um sie wirbt. Schoppe vergleicht sich da gleich mal mit Johann Wolfgang von Goethe Werther. Trost findet er in der Literatur Jean Pauls, und die Natur wird zum Ort des Rückzugs. Der gealterte Schoppe findet ein anderes Wunsiedel vor, die Bahnstation existiert nicht mehr, nur noch ein überdimensionaler Busbahnhof.
Aber die Natur bietet weiter eine Idylle, deren Zauber Buselmeier detailgenau einzufangen weiß. Wunsiedel ist eben auch heimelig, ein Sehnsuchtsort.
Michael Buselmeier: „Wunsiedel” (Verlag Das Wunderhorn, 158 Seiten, 18.90 Euro)
- Themen: