Die Klavierchinesen erobern München

Das weibliche Gegenstück zu Lang Lang: Die chinesische Pianistin Yuja Wang verblüffte im Herkulessaal mit stupender Technik, Yundi Li donnerte Mussorgkis "Bilder einer Ausstellung" ins Prinzregententheater.
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Auf dem Podium stellt die sanfte Yuja Wang neue Geschwindigkeitsrekorde bei Brahms’ „Paganini-Variationen“ auf.
Felix Broede / DG 2 Auf dem Podium stellt die sanfte Yuja Wang neue Geschwindigkeitsrekorde bei Brahms’ „Paganini-Variationen“ auf.
In seiner Heimat China wird der schüchterne Yundi Li wie ein Pop-Star gefeiert, seit der Ausnahme-Pianist 2000 im Alter von 18 Jahren als bisher jüngster Preisträger den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann.
Deutsche Grammophon 2 In seiner Heimat China wird der schüchterne Yundi Li wie ein Pop-Star gefeiert, seit der Ausnahme-Pianist 2000 im Alter von 18 Jahren als bisher jüngster Preisträger den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann.

Das weibliche Gegenstück zu Lang Lang: Die chinesische Pianistin Yuja Wang verblüffte im Herkulessaal mit stupender Technik, Yundi Li donnerte Mussorgkis "Bilder einer Ausstellung" ins Prinzregententheater.

Das Klavier ist das internationalste aller Instrumente. Daher nehmen 36 Millionen Chinesen Unterricht auf den Tasten. Sie öffnen sich der Welt, zugleich zahlen sie durch fleißiges Üben der fernöstlichen Kultur harter Arbeit ihren Tribut. Die extrovertierteren Koreaner haben sich als Sizilianer Asiens eher der Oper verschrieben und dominieren Gesangswettbewerbe und Provinzbühnen.

Pianisten aus dem Reich der Mitte müssen mit dem Vorurteil leben, pure Techniker zu sein. Eigentlich wollte Yuja Wang in München mit Schumanns „Humoreske“, Bachs „Ouvertüre im französischen Stil“ und Liszts Mephistowalzer am Klischee kratzen. Immerhin spielt sie auf ihrer Platte sogar Ligeti. Doch die 22-Jährige ging lieber auf Nummer sicher. Ihr Auftritt glich mehr dem Testlauf auf dem Klavierprüfstand.

Wummerndes Klavier

Nach bewährtem Virtuosenbrauch lief sich die Chinesin mit vier Scarlatti-Sonaten als glitzernder Spieldosenmusik warm. Mit dem Thema von Brahms’ „Paganini-Variationen“ legte sie einen donnernden Kavaliersstart hin und brauste mit 400 Sachen durch Brahmsens Notenlandschaft. Sie wehrte mörderische Oktaven ab, befreite sich aus Fesselungen, wirbelte durch die Luft und überrollte eine Karatetruppe aus Sextolen, die sich ein Gefecht mit Sechzehntel-Schwertkämpfern lieferten. Das bei dieser rasenden Fingerfertigkeit wie eine Wurlitzerorgel wummernde Klavier lieferte die Filmmusik.

Nach der Pause folgten die Sonaten Nr. 2 und Nr. 4 von Alexander Skrjabin. Auch hier verblüffte Yuja Wangs stupende Technik. Mehr subtiler Klangsinn wäre aber vorstellbar. Bei drei Stücken aus Strawinskys „Petruschka“ folgte der Schlussverkauf dieses Klavierjahrmarkts: Elefanten flogen zum Staunen des Publikums graziös durch die Luft.

Nach Virtuosenmanier

Nach Glucks „Reigen seliger Geister“ konnte als abschließende Clownsnummer nur noch Mozarts „Alla turca“ in der Horowitz-Bearbeitung kommen. Musik im engeren Sinn bot dieser Klavierabend nicht viel. Zweierlei ist aber gewiss: China hat nun auch einen weiblichen Lang Lang. Und bei Yuja Wangs fälliger Rückkehr wird der Herkulessaal gewiss besser besucht sein.

Robert Braunmüller

Die CD der Pianistin mit Sonaten und Etüden von Chopin, Skrjabin, Liszt und Ligeti bei der Deutschen Grammophon

Yundi Lis Klavierabend im Prinzregententheater

Die virtuose Art, mit der Pianist Yundi Li die „Bilder einer Ausstellung“ ins Prinzregententheater donnerte, besaß hinreißende Überzeugungskraft. Obwohl der Flügel, den man ihm zur Verfügung gestellt hatte, im Diskant geradezu scheußlich klirrte und sich deshalb das Hörvergnügen in Grenzen hielt, ließ der chinesische Wunderpianist keine Zweifel darüber aufkommen, dass Modest Mussorgskys Zyklus in der originalen Klavierfassung weitaus wilder und authentischer klingt als in Maurice Ravels glättender Orchesterbearbeitung.

Yundi Li scheint die Herausforderung klanglicher Exzesse zu bevorzugen. Die Intimität kleinerer Formen, etwa der Mazurken op. 33 von Frédéric Chopin, wischt er nahezu im Vorbeischlendern beiseite, da phrasiert er eigenwillig, rhythmisch anfechtbar, ohne Esprit und Fantasie.

Dass er vor neun Jahren den Warschauer Klavierwettbewerb wohl zu Recht gewann, stellte er energisch mit Chopins „Andante spianato et Grande Polonaise“ unter Beweis. Die Reverenz an seine Heimat – sechs Folklore-Stücke im Stile Debussys von Jianzhong Wang – war für ihn Ehrensache. Am besten gelang Robert Schumanns „Widmung“ in der Bearbeitung von Franz Liszt: Da zeigte der 27-Jährige, wo seine Stärken liegen könnten. Für Beethoven oder Schubert scheint er im Moment noch nicht gerüstet.

Volker Boser

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