Die Kamera als optischer Panzer
Das Stadtmuseum zeigt unter dem Titel „Fremde im Visier“ eine hervorragende Schau privater Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg
Den verheerendsten Konflikt in der Menschheitsgeschichte aus neuer Perspektive zu sehen, ist so gut wie unmöglich, da alle verfügbaren Dokumente schon aufs Vielfältigste ausgewertet und gezeigt wurden. Um so bemerkenswerter ist, dass es der Ausstellung „Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg“ gelingt, einen neuen Blick auf das Thema zu werfen. Sie war zuerst in Oldenburg zu sehen und befindet sich nun in der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums.
Für das Projekt, das von den Kuratorinnen Petra Bopp und Sandra Starke einen langen Atem erforderte, wurden in Tageszeitungen Aufrufe mit der Bitte um private Bilder veröffentlicht. 150 Fotoalben kamen so zusammen – vor allem die „Generation der Töchter und Söhne“ von Kriegsteilnehmern brachte viel noch nie in der Öffentlichkeit gezeigtes Bildmaterial zu den Ausstellungsmachern.
Geschichte, subjektiv erlebt
Das Ergebnis ist eine Sammlung „soldatischer Knipserfotos“, eine eindringliche Art subjektiver Kriegserzählung. Viel Bildmaterial kam zusammen, weil die Nazipropaganda die Soldaten dazu aufgerufen hatte, die Fotoapparate mit an die Front zu nehmen – die Bilder sollten die Bindung an die Heimat stärken. Dass auch Fotos von Gräueltaten und Verbrechen gemacht wurden, war sicher nicht intendiert, fand aber statt. Auch die später eingeführte Zensur konnte dagegen nicht mehr viel ausrichten, schließlich wurden die Filmrollen unentwickelt nach Hause geschickt.
Die meisten Bilder wurden in ihrem Album-Zusammenhang gelassen, damit nicht das Missverständnis aufkommt, sie würden als eigenständige kleine Kunstwerke präsentiert. Einige Alben sind sogar als komplette Faksimiles durchblätterbar – so ein unmittelbarer Einblick in private Welten zu Kriegszeiten ist nur ganz selten möglich.
Kriegsgemächlichkeit
Man erfährt viel vom gemächlichen wie vom grausamen Kriegsalltag, sieht absurde Privat-Propaganda wie ein mit „Es ist so schön, Soldat zu sein“ überschriebenes Album, das die Ehefrau eines Soldaten anfertigte. Oder eine Fotoseite, die nur noch die Spuren eines von Angehörigen entfernten Bildes und die Zeile „Erschossene Partisanen in Pleskau“ trägt. Und das Plakat von Voigtländer Optik, das die Produkte der Firma folgendermaßen anpries: „Die Kamera – der optische Panzer“.
Am beeindruckendsten ist die unmittelbare Nähe zur Katastrophe, die die Aufnahmen jeden Betrachter spüren lassen.
Michael Grill
Stadtmuseum, bis 28. Februar
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