Die Götterburg von Großburgwedel
Drinnen stürzte der Wortschwall pausenlos auf den Zuhörer nieder. Kein freundlicher Dramaturg hatte den Text gekürzt. Wenn man aber in den Gartensaal flüchtete, spielte drinnen unvermittelt ein Orchester den Walkürenritt. Da musste man schnell zurück, um Wotans Töchter auf ihren Steckenpferden nicht zu verpassen.
Die Lesung von Elfriede Jelineks „Rein Gold” verband zähe Langeweile mit einem großen Spektakel. Regisseur Nicolas Stemann erklärte eingangs die Regeln: Man dürfe kommen und gehen, wann man wolle. Beim Text handle es sich um einen Dialog zwischen Wotan und Brünnhilde, der nun ohne Probe urgelesen werde. Die Inszenierung sei improvisiert, am Rande der Bühne würde mit Hilfe eines riesigen Abreißkalenders die Seitenzahl von 129 abwärts heruntergezählt.
Dann begann Birgit Minichmayr, die ein paar Seiten später von Irm Herrmann, Almut Zilcher und Myriam Schröder abgelöst wurde. Der Regisseur und seine Assistentin wuselten herum und flüsterten ihre Anweisungen. Die Herren Jens Ostendorf und Sebastian Rudolph guckten rauchend Fußball und warfen bereits gelesene Passagen des Manuskripts zerknüllt hinter sich.
Wagners „Im Treibhaus” gliederte den einer Schlingensief-Performance nicht unähnlichen Abend. Und weil die Bayerische Staatsoper nie kleckert, wurden Wagner, Offenbach und Ennio Morricone nicht etwa aus einer Konserve serviert, sondern von der Symphonischen Akademie Patentorchester unter Folko Jungnitisch frisch dargeboten.
Wie alle neueren Texte der Österreicherin ist „Rein Gold” ein leicht nerviger Gedankenstrom, der sich mit sarkastischem Humor in einzelne Begriffe verbeisst. Wotans Schulden beim Bau von Walhall werden mit dem kreditfinanzierten Häuschen des gewesenen Bundespräsidenten zusammengebracht. Aber auch das Dosenrecycling treibt die Jelinek ebenso um wie die Banalität des alltäglichen Todes, der hart gegen Wagners Untergangspathos geschnitten wurde.
Auf Seite 90 war Spanien Europameister. Der Sieg wurde im Prinzregententheater allerdings für Deutschland reklamiert. Der rosarote Panther der Nazi-Mörder zum „Lohengrin”-Vorspiel gegen 23 Uhr entging uns. Eine Stunde später floh das Orchester, gegen 0.30 Uhr auch wir. Noch gut 50 Seiten waren da übrig.
Trotzdem wagen wir den Schluss: Die Jelinek kennt Wagners „Ring” genau. Ihre antikapitalistische Wut ist wild wie Wagners Sehnsucht nach dem Weltenbrand. Das bisschen Eurokrise in Kriegenburgs „Götterdämmerung” erscheint da als Warmduscherei. Es schadet eben nie, eine zweiten „Ring” im Feuer zu haben, und sei es nur als Überschreibung des alten Texts.