Die Furie aus der Prärie
Joyce DiDonato mischt die Händel-Szene auf – als Alcina und mehr noch auf Solo-Tour
Für eiserne Originalklang-Anhänger ein Desaster: Der gute alte Händel ist wieder auf dem Boden gelandet. Vorbei sind die Zeiten da seine Heroen testosteronlos in die Schlacht zogen und die dazu gehörigen Damen wie aus dem Himmel gepurzelte Engel klangen. Selbst für Sänger ist es ist nicht mehr Grundvoraussetzung, die keusche Jugend dauerlobpreisend unter altenglischen Kreuzgratgewölben verbracht zu haben.
Wie das? Schon seit ein paar Jahren sind die „Normalos“ dabei, den elitären Club zu unterwandern. Sogar aus dem Wilden Westen pfeift frischer Präriewind. Denn mit Joyce DiDonato rast eine leibhaftige Furie durch die Partituren. Womit der Nagel ganz aktuell auf den Kopf getroffen ist. Denn die Mezzosopranistin aus Kansas lehrt als Zauberin Alcina in Händels gleichnamiger Oper eine ganze Insel das Fürchten. Und breitet dabei ein aufregend weites Spektrum menschlicher Leidenschaften und Affekte aus.
DiDonato kennt keine Hemmungen, nicht einmal vor gallengelben Stimmgrimassen. Und wenn für Spitzentöne auch mal ein Trampolin herhalten muss, dann verstärkt das nur den Eindruck: Da ist eine, die alles gibt und bei gut hundert Prozent erst loslegt. Dass ihr Ritter Ruggiero (Maite Beaumont) bei diesen Verlockungen doch noch auf den Leim geht, kann nur der Plot verhindern. Joyce singt eben auf Risiko und steckt dabei auch ihre durchweg erlesenen Kollegen (Sonia Prina, Carina Gauvin, Kobie van Rensburg) an. Nur Alan Curtis, erklärter Händel-Verwalter von Groß-Labels Gnaden, hält am harmlos plätschernden Fluss schöner Töne fest. Dabei hätte gerade sein Leib- und Magen-Ensemble Il Complesso Barocco das Zeug dazu, endlich mal durchzubrennen.
Wir greifen deshalb lieber zu DiDonatos Solo-Scheibe „Furore“. Da gibt’s wirklich keinen, der bremst.
Christa Sigg
„Alcina“, Archiv Produktion Deutsche Grammophon. Joyce DiDonato: „Furore“, bei Virgin Classics
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