Die Freiheit nutzen
Man könnte besorgt die Frage stellen, warum er sich das noch antut. Schwer gezeichnet von einer Parkinson-Erkrankung ist der ehemalige Gewandhauskapellmeister und Ex-Chef der New Yorker Philharmoniker kaum noch in der Lage, klare Anweisungen zu geben. Doch das erwies sich keinesfalls als Handicap. Im Gegenteil: Das Bayerische Staatsorchester nutzte die Freiheiten, die ihm geschenkt wurden und spielte mit bravourösem Engagement.
Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter meinte einmal, dass die große Kunst eines Dirigenten darin bestehe, dass er gespürt wird. Kurt Masur stand im Nationaltheater mit zitternden Armen auf dem Podium, blickte in die Noten, deutete ein paar Einsätze an – und Rimsky-Korsakovs symphonische Suite „Scheherazade“ erklang in wunderbar fließender Bewegung, weitaus farbiger musiziert als in einer mathematisch ausgetüftelten Aufführung.
Beim „Zauberlehrling“ nach Johann Wolfgang von Goethe Ballade von Paul Dukas und dem unverwüstlichen „Till Eulenspiegel“ von Strauss hätte ein penibler Taktschläger vielleicht mehr Präzision erreichen können. Doch auch hier erwies sich Kurt Masurs Zurückhaltung als Glücksfall. Er hielt die Zügel locker und gestattete dem Staatsorchester, mit herrlichen solistischen Einzelleistungen individuell zu prunken (Klarinette, Fagott).
Am Ende schien das Publikum zu spüren, wie viel dem 84-jährigen Maestro dieses Gastspiel im Nationaltheater bedeutet haben mag. Es gab „standing ovations“. Sie wurden mit einer Zugabe belohnt, auch dies ungewöhnlich in einem Akademiekonzert: Noch einmal erklangen die Schlusstakte aus dem „Till Eulenspiegel“.
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