Die Explosion lauert in der Puppenstube

Museum Villa Stuck: Der Konzeptkünstler Ahmet Ögüt führt sein Publikum auf bizarren Schleichwegen zur Erinnerung
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Museum Villa Stuck: Der Konzeptkünstler Ahmet Ögüt führt sein Publikum auf bizarren Schleichwegen zur Erinnerung

Zum Ticket gibt’s eine Taschenlampe in die Hand. Und bequem ist die Sache auch nicht. Man muss zur Ausstellung schon eine Prise Entdeckerlust, und – noch wichtiger – funktionstüchtige Kniegelenke mitbringen. Sonst robbt man irgendwann übers Parkett der Villa Stuck. Aber das klingt jetzt dramatischer, als es sich für komfortverwöhnte Mitteleuropäer anfühlt. Der Konzeptkünstler Ahmet Ögüt liebt die Überraschung, und um unserem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, schreckt der gelernte Maler auch vor Taschenlampen nicht zurück.

Mit einer solchen begibt man sich in seiner Ausstellung „Whenever I go I see your shadow behind me“ zunächst durch rabenschwarze Räumlichkeiten und auf die Suche nach dem Konterfei des Journalisten Hrant Dinks. Der Gründer einer kritischen armenisch-türkischen Zeitung wurde auf offener Straße erschossen – und man kommt sich vor wie ein Häscher, der seinem Opfer auf der Spur ist.

Ögüts Wege sind Schleichwege, die um diverse Ecken führen. Auch deshalb ist die Beklemmung nie die mit dem Zeigefinger befohlene. Und sie wirkt ein bisschen länger nach, manches zündet erst nach dem Verlassen der Museumsvilla.

Bandagierte Micky Mäuse auf dem Friedhof

Geflechte, seien es politische, seien es soziologische, sind die Spezialität des in Amsterdam lebenden Türken. Alles was dieser Reisende durch die Welten aufstöbert, ist Geschichte und kann qua arte neu geschrieben, rekonstruiert, neu gedacht werden. Das hat bei Ögüt zuweilen komische Züge. Und man geht erst einmal amüsiert in Duckhaltung, wenn sich die Tür zum obersten Raum der Schau öffnet. Die Decke wurde hier deutlich abgesenkt, man muss bald in die Hocke vor einem Stadtmodell im Puppenformat und wundert sich über die Multikulti-Sammlung von Wolkenkratzern, Moscheen, Wohnanlagen, Bahnhöfen.

Das Lächeln gefriert rapide: „Exploded City“ zeigt die fein ausgearbeiteten Modelle von Gebäuden (samt Glossar), die durch terroristische Anschläge zerstört wurden. Keine Ruinen, sondern ein menschenleeres Areal, das zur wenig behaglichen Zukunftsvision mutiert. Und auch die ausgemusterten Flieger, die im nächsten Raum wie bandagierte Micky Mäuse auf Video vorbeiziehen, entpuppen sich als ausgemusterte Kampfjets auf einem amerikanischen Flugzeug-Friedhof. Und sind Zeugnis fragwürdiger Bestrebungen eines Kollektivs, das eine sympathischere Variante im grandiosen Scheitern des Einzelnen gleich gegenüber erfährt. Denn da wird mit einer schrägen „Bootstour“ die symbolische Heimholung des im Atlantik verschollenen Konzeptkünstlers Bas Jan Alder zelebriert. Und dieser Kurzfilm hat – bei aller Tragik – in seiner ironischen Brechung doch etwas Heilsames.

Christa Sigg

Museum Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, bis 23. Januar - Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr, ein Katalog erscheint Ende November

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