Die Elbphilharmonie: Ein Vorbild für München?
Es lohnt sich, einmal das Kleinklein der hiesigen Debatte um einen neuen Konzertsaal hinter sich zu lassen. Eine Reise nach Hamburg bildet: Am westlichsten Punkt der alten Speicherstadt entsteht die Elbphilharmonie der Architekten Herzog & de Meuron. Der Bau ist wegen explodierender Kosten in Verruf geraten. Aber wer als Skeptiker den Rohbau betritt, kommt begeistert wieder heraus: Wenn die Elbphilharmonie einmal fertig ist, wird angesichts der visionären Kraft dieses Gebäudes jede Kritik verstummen.
Schon jetzt ist zu ahnen, wie spektakulär dort Musik als Erlebnis inszeniert wird. Rolltreppen bringen die Besucher dann zu einer Plaza in 37 Meter Höhe über dem ehemaligen Hafenspeicher, der zu einem Parkhaus samt Hotel umgebaut wird. Der Blick auf Hamburg und seinen Hafen ist spektakulär. Dann geht es über Treppen an einem Kammermusik-Saal vorbei zur eigentlichen Philharmonie mit rund 2150 Sitzplätzen. In ihrer Weinberg-Form mit Rängen um Bühne herum wirkt sie im Rohbau erstaunlich menschlich dimensioniert.
Vorige Woche gastierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in Hamburg. Die Musiker und ihr Chefdirigent Mariss Jansons wünschen sich seit Jahren einen Konzertsaal-Neubau in München. Ein Besuch auf der Baustelle war da vor dem Konzert natürlich Pflicht. „Der Blick von dort oben ist eine Droge”, sagt der in Hamburg geborene Kontrabassist Frank Reinecke auf dem Dach in über 100 Metern Höhe. Er ist überzeugt, dass die Elbphilharmonie Besucher und gastierende Orchester wie ein Magnet anziehen wird. Allerdings mischt sich ein „Tröpfchen Skepsis” in die Begeisterung, weil in seiner Heimatstadt die lokale Kultur zu Gunsten spektakulärer Einkäufe von außen gern kurz gehalten wird.
Ziemlich spektakulär ist übrigens auch die vor einem Jahrhundert eröffnete und vom Reeder Carl Laeisz gestiftete Musikhalle, in der das BR-Symphonieorchester am Abend nach Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 mit der Solistin Mitsuko Uchida und dem „Heldenleben” von Richard Strauss heftig bejubelt wurde. Der 1908 eröffnete Bau ist für spätromantische Monumentalmusik zu intim, gilt aber mit Recht als schönster alter Konzertsaal Deutschlands. Wenn in zwei oder drei Jahren die Elbphilharmonie fertig ist, können die Hamburger zwischen Neo-Rokoko-Historismus und moderner Event-Architektur wählen, während wir Münchner weiter im abgewohnten Herkulessaal oder dem ungeliebten Gasteig sitzen müssen.
Aber bei der Reise mit dem BR-Symphonieorchester eröffneten sich auch Perspektiven für die Kulturvollzugsanstalt am Isarhochufer. Von Hamburg ging es zum Southbank Center in London, das von außen noch hässlicher ausschaut wie Münchens Klinkerbunker. Das Innenleben hat es allerdings in sich. An einem ganz normalen Werktag brummt der Bau schon mittags, weil ein Kunstmuseum und drei Restaurants locken. Im Foyer spielte ein Senegalese auf der Laute, während Menschen beim Kaffee saßen und Mütter mit Kindern zur Musik tanzten. Während im Gasteig das Internet erst nach Münzeinwurf auf ein paar alten PCs in der Stadtbibliothek sein Weltwissen nur widerwillig freigibt, gehört kostenloses W-Lan im Southbank Center zum selbstverständlichen Service, das von vielen Flaneuren mit Laptop als zweiter Arbeitsplatz genutzt wird.
Das war nicht immer so. Das Kulturzentrum galt lange als „bessere Kunstgarage”, sagt Marshall Marcus. Er verantwortet das Musikprogramm des Hauses, das im Unterschied zum Gasteig nicht nur vermietet wird. Deshalb sind dort übergreifende Programme wie ein Lachenmann-Weekend oder ein großes Bernstein-Projekt ebenso selbstverständlich wie Maurizo Pollini oder Lang Lang als „Artists in Residence”, die eigene Ideen verwirklichen.
Herz des Southbank Centers ist die 1951 eröffnete Royal Festival Hall mit dem Charme eines Ostblock-Kulturhauses. Ihre Akustik ist trotz einer teurene Reparatur umstritten, aber das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks klingt aus der Reihe 7 runder und brillanter als im Gasteig.
„Ich finde dieses Orchester besser als die Berliner Philharmoniker, weil ich eine lebende Tradition spüre”, lobt Richard Morrison in der Pause. In der Münchner Staatsoper hat der Chefkritiker der „Times” zuletzt „Dialogues des Carmélites” unter Kent Nagano gehört. „Thielemanns Orchester”. Die Münchner Philharmoniker sind ihm dagegen ein eher vager Begriff. „Sie waren schon lange nicht in London. Und Platten nehmen sie auch kaum auf.” Ohne Tourneen bleibt man eben nur in München weltberühmt.