Die brutale Wahrheit hinter der Ritter-Maske
Held oder Schlächter: Wer war Manfred von Richthofen wirklich? Auch in dem neuen Film von Regisseur Müller wird nicht viel neues erzählt. Diskussionen kommen hoffentlich trotzdem zustande.
Ritter der Lüfte, Medienstar, Massenmörder – viele Attribute für einen Mann, der bereits mit 25 Jahren starb. Der „Rote Baron“ Freiherr Manfred von Richthofen (1892-1918) gibt bis heute Rätsel auf. Niki Müllerschöns gefällig-heroisches Kinospektakel trägt zur Aufklärung leider wenig bei. Wenigstens räumt Joachim Castan in seiner Biografie „Der Rote Baron: Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen“ mit den gängigsten Vorurteilen auf. Ritterliche Mann -gegen-Mann-Duelle entsprachen nicht der brutalen Kriegs-Realität: „Ich schieße nie in die Maschine, schieße immer gleich den Führer ab. Wenn ein Beobachter dabei ist, natürlich den Beobachter zuerst, damit ich auch dessen Maschinengewehr bekomme... Diese Art Menschenjagd muss tatsächlich geübt werden“, erklärte Richthofen in den letzten Kriegsjahren. Untermauert werden diese Aussagen von seiner „beeindruckenden" Abschussbilanz. 80 Flugzeuge holte der „Rote Baron“ vom Himmel. Innerhalb von 20 Monaten tötete er 75 feindliche Piloten.
Luftiger Medienstar
In Breslau geboren, schickt der ehrgeizige Vater und Major den schüchternen Jungen mit elf Jahren auf die kaiserliche Kadettenanstalt. Ihm wird eingeimpft, möglichst schnell „unsterblichen“ Ruhm für Kaiser und Vaterland zu erlangen. Die Rolle als Patrouillenführer zu Beginn des Ersten Weltkrieges befriedigt den ehrgeizigen Soldaten keineswegs. Erst nach seiner Versetzung zur Fliegerstaffel im Jahre 1915 blüht Richthofen auf. 1916 verzeichnet er seine ersten Abschüsse. Gelegentlich verfolgt er von der Luft aus davonrennende, feindliche Soldaten: „Mein Beobachter schoss feste mit dem Maschinengewehr unter die Brüder, und wir hatten einen wilden Spaß daran.“ Bald erhält er die höchste deutsche Kriegsauszeichnung „Pour le Mérite“. In Briefen an seine Mutter berichtet er fortan stolz von seinen Heldentaten. Von einer jungen Frau an seiner Seite, wie es Müllerschöns Film suggeriert, ist nie die Rede. Das Jahr 1917 macht aus Richthofen endgültig einen Medienstar. Die deutsche Heeresleitung sucht in der kritischen Kriegsphase nach Helden und missbraucht seine Abschussrekorde zu Propagandazwecken. Der Führer der Jagdstaffel 11 setzt auch äußerlich seine neue Starrolle um. Bunt bemalt sein „fliegender Zirkus“ die eigenen Maschinen, obwohl „le diable rouge“ damit für den Feind ein klareres Angriffsziel bietet. Richthofen selbst kommt mit dem Hype um seine Person nicht zurecht: „Mir ist nach jedem Luftkampf erbärmlich zumute. Wenn ich meinen Fuß auf dem Flugplatz wieder auf den Boden gesetzt habe, dann mache ich, dass ich in meine vier Wände komme, will niemand sehen und von nichts hören.“ Von dieser Zerrissenheit spürt man bei Müllerschön leider herzlich wenig.
Nicht viel neues wird präsentiert
Im Juli 1917 wird Richthofen am Kopf getroffen, seine Fokker-Maschine stürzt 3000 Meter in die Tiefe, mit Mühe kann er notlanden: „Für einen Augenblick war ich völlig gelähmt am ganzen Körper. Mir zuckte es durch den Kopf: Also so sieht es aus, wenn man sich kurz vor dem Tode befindet.“ Richthofen erholt sich nie mehr von der Verletzung. Seine Kameraden beschreiben ihn als fatalistisch und verschlossen. Auch den psychologischen Auswirkungen dieser Nahtoderfahrung geht Müllerschön aus dem Weg. Besonders enttäuscht sein Film bei der Schilderung von Richthofens Todestag am 21. April 1918. Eine Widerlegung der Legende, dass der britische Pilot Brown ihn im Luftduell besiegte, traut sich Müllerschön nicht. Dabei gehen die Historiker davon aus, dass australische MG-Schützen den „Roten Baron“ brutal zerfetzten. Ein traurig-grausames Bild, dass in dem Hochglanz-Film keinen Platz fand. Bleibt die Frage, was Regisseur Müllerschön, der sechs Jahre an seinem Traumprojekt arbeitete, eigentlich Neues erzählen wollte. Denn von den meisten Fakten berichtete schon der Roger-Corman-Film „Von Richthofen und Brown“ (1971). Und beeindruckende Flugsequenzen lieferten bereits die Flugfilm-Klassiker „Wing“ (1927) und „Hell’s Angels“ (1930). Immerhin setzte das wiedererwachte Interesse an Manfred von Richthofen und seiner Geschichte – neben Marketingprodukten wie Computerspielen oder Comics – eine historische Debatte in Gang, die aus dem unantastbaren ritterlichen Helden endlich einen Menschen mit Stärken und Schwächen macht.
Florian Koch