Die brave Gier

Cannes: Oliver Stones mit Spannung erwartete „Wall Street“-Fortsetzung erzählt mit reichlich konventionellen Kinomitteln vom Finanzcrash und der Korrumpierbarkeit des Menschen
von  Abendzeitung

Cannes: Oliver Stones mit Spannung erwartete „Wall Street“-Fortsetzung erzählt mit reichlich konventionellen Kinomitteln vom Finanzcrash und der Korrumpierbarkeit des Menschen

In Krisenzeiten wird der Ruf nach einem Messias lauter. In Cannes schreien die Fotografen, die wegen Überfüllung zum Foto-Call nicht mehr zugelassen wurden, von der Terrasse „Oliver! Oliver!“, um von Stone einen Blick in ihre Richtung zu erzwingen. Neben ihm Michael Douglas, der einen Sommeranzug trägt, in exakt der gleichen Uniform-Farbe wie hier alle Saalordner und die Security.

„Wall Street – Money Never Sleeps“ sollte der große Wurf sein, eine Art analytisch-entlarvende moralische Antwort auf die Frage: Wie konnte dieser Milliarden-Wahnsinn der Finanzkrise passieren? Michael Douglas als Gordon Gekko, der wegen Insiderhandel und Geldwäsche lange einsaß, gibt in einer Rede vor BWL-Studenten die Antwort: War er 1987 in „Wall Street“ zur Ikone der Yuppie-Jahre geworden mit der simplen These „Gier ist gut“, so sagt er jetzt, 23 Jahre später: „Gier ist jetzt sogar noch legalisiert!“

Mit der These, dass die Deregulierung der Finanzmärkte schuld ist, hätte Gordon Gekko wieder ins Schwarze des Kapitalismus getroffen. Aber wie es oft mit Messias-Figuren ist: Sie müssen in der Realität enttäuschen.

Ein Familienfilm

Und so ist „Wall Street 2“ letztlich ein viel zu braver Film. Stone räumt das auch gleich auf der Pressekonferenz ein: „Es ist ein Film über Familie“, sagt er, und darüber, dass jeder korrumpierbar ist durch Macht und Geld. Wenn Gekko jetzt die Liebe seiner ihm entfremdeten Tochter (Carey Mulligan) sucht und Mentor seines Schwiegersohnes in spe (Shia LaBeouf) wird und der Film mit einer nächlichen Rührszene der drei endet, dann ist das bei dem Warn-Thema eigentlich schwach.

Aber Stone ist eben kein Michael Moore des Spielfilms, sondern ein kritischer Romantiker mit Hang zum Pathos. Dazu gehört auch, dass man zwar den Börsen-Crash prophetisch (das Drehbuch war 2008 fertig) als rote Blinklinien auf Computermonitoren erlebt. Aber keine einzige Figur im Film lässt das Desaster spüren: kein Haus wird zwangsversteigert, kein Arbeiter verliert seinen Job. Der Film spielt hermetisch in Millionärs-Kreisen! Wodurch der interessante Störeffekt auftaucht, dass man als Zuschauer diese Welt bewundern könnte. Dabei hatte Stone versprochen, dass ihm dieses Missverständnis bei „Wall Sreet 2“ nicht mehr passieren würde.

Ach ja, die Wirklichkeit!

Unsanft wird Michael Douglas später gefragt, in wie weit die Filmfigur als „schlechter Vater“ der Realität entspeche. Immerhin ist Douglas’ Sohn wegen Dealer-Geschäfte für fünf Jahre ins Gefängnis gewandert. Im Film hat der Sohn sogar Selbstmord begangen. „Das Drehbuch war vor den ganzen Sorgen, die mein Sohn am Hals hat, fertig. Aber manchmal spiegelt Fiction ja zufällig die Realität.“

Das haben bisher auch alle Wettbewerbsfilme gezeigt: ein chinesischer („Congqing Blues“) über einen ebenfalls „schlechten“ Vater, der zurückkehrt, um die Todesumstände seines Sohnes aufzuklären, den er 14 Jahre zuvor bei der Mutter zurückgelassen hat. Es ist ein Film auch über die Entfremdung der Generationen im rasanten Umbruch Chinas.

„Tournee“ des Franzosen Mathieu Amalric zeigt nur den Kampf eines abgehalfterten Managers einer US-Erotik-Show-Truppe in der französischen Provinz. Bei soviel Langeweile half auch der super-ästhetische Sex zwischen Hausangestellter und reichem Patron in „Das Hausmädchen“ des Koreaners Im Sangsoo nichts.

Adrian Prechtel

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