Die Blumenkinder in Riga lieben den „Sound of Silence“

"The Sound of Silence" lässt die 68er-Jahre und das Lebensgefühl der Blumenkinder lebendig werden. Viel Szenenapplaus gab es für die Inszenierung von Alvis Hermanis.
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"The Sound of Silence" lässt die 68er-Jahre und das Lebensgefühl der Blumenkinder lebendig werden. Viel Szenenapplaus gab es für die Inszenierung von Alvis Hermanis.

Soviel Gelächter und Szenenapplaus erlebt man in Salzburg selten bei einer Festspielaufführung. Mit begeistertem Applaus im Takt und Bravo-Chören feierte das Publikum auf der Perner-Insel die Inszenierung „The Sound of Silence“ von Alvis Hermanis. Ohne ein einziges Wort, nur mit den Songs von Simon & Garfunkel lassen der lettische Regisseur und das bravouröse Ensemble des von ihm geleiteten Neuen Theaters Riga drei Stunden lang die 68er Jahre und das Lebensgefühl der Blumenkinder in Riga lebendig werden – mit unerschöpflicher szenischer Fantasie, hinreißender Slapstick-Komik und spielerischer Leichtigkeit.

Ja doch, es gab auch im sowjetisch besetzten Lettland 1968 Hippies, Flower-Power und heimlich gehörten Pop aus dem Westen. Politische Ambitionen hatte die kleine Kommune allerdings nie – und so spart Hermanis in seinem Projekt, das er mit den Schauspielern zusammen entwickelte, getreu seinem Credo, Theater habe nicht politisch zu sein, Politik auch radikal aus. Dafür ist es umso erstaunlicher, wie er mit seinem Ensemble Atmosphäre und Stimmungen herstellt, die auch in Europa und Amerika hohen Wiedererkennungswert hat.

„Ein Konzert von Simon & Garfunkel 1968 in Riga, das nie stattgefunden hat“, heißt der Untertitel. Dieses Konzert findet bei verschwörerischen Treffen in einer schmuddeligen Wohngemeinschaft statt – man hört Radio, Tonbänder und Musikkonserven aus Einweckgläsern. Die jungen Leute kiffen, was das Zeug hält, gemeinsam suckeln und schnüffeln sie in der Küche mit Schläuchen eine selbstgebraute Flüssigdroge. Sie lesen wie die Wahnsinnigen (überall liegen Bücherstapel), versuchen sich ungelenk in freier Liebe auf der Campingliege, spielen, tanzen, streiten und küssen sich.

Bühnenbildnerin Monika Pormale baute einen breiten Guckkasten mit abgerissenen Tapeten und fünf Türen zu den wandlosen Zimmern samt Küche und Bad. Wie Videoclips lösen sich die kurzen Szenen rasant ab. Hier glättet man sich die langen Haare mit dem Bügeleisen, dort posen in einer nachgespielten Szene aus „Blow up“ zwei Models für einen Fotografen. Der junge Liebhaber der eleganten Mrs. Robinson lässt als Übersprungshandlung ein rotes Spielzeugauto fahren, das schließlich Mrs. Robinsons Körper erkundet – so witzig kann Erotik sein. Und ein Mädchen wartet auf den Anruf des Liebsten, starrt hypnotisch das Telefon auf ihrem Schoß an, und zerrt schließlich so wütend und wild an der Telefonschnur, bis sie am anderen Ende der Leitung den Typen dran hat: Er hängt leibhaftig angeseilt am Kabel. Und für jede Situation gibt’s den passenden Song – oft nur bruchstückhaft – von Simon & Garfunkel.

In der zweiten Hälfte führt der Weg in die Verbürgerlichung: Heiraten und Kinderkriegen werden etwas klischiert und sehr harmlos gezeigt. Aber auch das Kippen der Stimmung hat Witz und Komik, und trotz eines Toten am Ende bleibt der Eindruck einer wunderbaren Aufführung.

Gabriella Lorenz

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