Die Antike als Psychoanalyse
Bei einem Neuanfang dankt man höflich den Vorgängern. Das kann heuchlerisch sein, förmlich - oder mit ehrlichem Respekt, so wie im Fall der Theaterspiele in der Glyptothek. "Dass Gunnar Petersen mit seiner Frau Beles Adam hier über 30 Jahre Theater gemacht haben - und das frei finanziert: Das hatte Pioniergeist und Wucht!", sagt Regisseur Alex Novak, der zusammen mit dem Schauspieler und Autor Sven Schöcker jetzt an einem der schönsten Orte Münchens weiter Theater machen wird.
Und sogleich folgt bei der Saisonvorstellung die Phrase, die manche beruhigen und viele befriedigen soll: "Es wird Altes bleiben und andere Aspekte werden neu sein" - was alles und nichts bedeuten kann. Aber dann wird Schöcker, der seit 10 Jahren bei Gunnar Petersen mitgespielt hat, klarer. Man bleibt - in diesem Jahr - bei antiken Stücken: "Prometheus in Fesseln" von Aischylos und "Iphigenie in Aulis" von Euripides. "Und dieser klassizistische Innenhof verlangt akustisch auch, dass man klassisch nach vorne spielt, den tragenden Ton sucht", sagt Schöcker. Gunnar Petersens Stärke sei es gewesen, Geschichten zu erzählen, klassisch zu bebildern und die Atmosphäre des Innenhofs mitspielen zu lassen", analysiert Novak. Ihm gehe es aber eher um die philosophischen Fragen in den Stücken. Und so kommt er zu "Prometheus in Fesseln": "Da wird erzählt, wie ein Titan, der Schöpfer der Menschen, denen er alles gezeigt und gegeben hat - inklusive dem Feuer, also der Technik - von Zeus, seinem alten Verbündeten, an den Kaukasus geschmiedet wird."
Aber die Ungeheuerlichkeit ergebe sich durch die "Ewigkeit" dieser Fesselung, weil Titanen unsterblich sind. Alles wird von einem übermenschlichen Standpunkt durch Götter und Halbgötter gesehen: "Das ist außerhalb der menschlichen Erfahrung und Logik - auch wenn auf einem Vogel ein Flussgott vorbeikommt." Aber mit der Figur des Prometheus hat man eine Figur, anhand derer man ganz aktuell den Fluch und Segen der Technik und des Fortschritts diskutieren kann, meint Novak: "Es geht um Schuld, Stolz, Verletzung und Vergebung. Viele griechische Theaterstücke seien eine Art fantastischer Psychoanalyse - und das 2500 Jahre vor Freud".
Bei antiken Texten stellt sich ja auch immer die Frage der Übersetzung, weil vieles im Deutschen sonst eher sperrig klingt. "Wir nehmen eigene Fassungen, die auf vielen Übersetzungen basieren", sagt Schöcker. Schiller sei manchmal zu erhaben, Altphilologen übersetzten oft zu antikisierend, was peinlich sein kann. "Aber eins ist klar: Eine lässige Alltagssprache kann es nicht sein. Denn das sind die Originaltexte auf keinen Fall."
Dieses Stichwort Sprache und Vermittelbarkeit bringt die Dritte, als Beraterin im Bunde, zu Wort: Katrin Lindner, eine Theatermacherin und Kuratorin: "Ziel ist es, die Glyptothek und die Antikensammlung, lebendig zu halten und auch junges Publikum anzusprechen."
So will man auch junge Menschen in die Projekte integrieren: "In Iphigenie in Aulis will ein Heeresführer seine Tochter opfern, um den Krieg führen und gewinnen zu können, aber er bekommt natürlich Skrupel. Andererseits würden ihn Odysseus und Achill vielleicht lynchen, wenn er das nicht täte", sagt Novak. Ein unlösbarer privater und politischer Konflikt, bei dem es auch um die Opferbereitschaft des Mädchens geht. "Wenn man das einmal von einer 16-Jährigen spielen lässt - auch im Hinblick auf die Letzte Generation - so hätte das eine andere Brisanz."
Und ohne den Ukraine-Krieg bemühen zu müssen, sei es auch eine packende, aktuelle Frage, wie man aus einem Krieg wieder rauskommt, wie man ihn beendet? Im Stück ist es der göttliche Eingriff, der den Konflikt löst. "Was heißt das für uns?", fragt Novak? Dass vielleicht nur ein echter Bruch mit dem Bisherigen Frieden schaffen kann? Die antiken Stücke und Stoffe werden jedenfalls relevant bleiben.
Theaterspiele Glyptothek, ab 8. Juli bis Mitte September, jeweils 20 Uhr, Einlass 19 Uhr: "Prometheus in Fesseln", Premiere, Sa, 8. Juli, "Iphigenie in Aulis" (Premiere, Sa, 15. Juli). Karten (mit Brot, Wasser und Wein) zu 35,20 Euro, www.theaterspieleglyptothek.de
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