Die adipöse Republik

Passioniert Provokativ: Die Sammlung Stoffel in der Pinakothek der Moderne
von  Abendzeitung

Passioniert Provokativ: Die Sammlung Stoffel in der Pinakothek der Moderne

Dass kindliche Fettleibigkeit zur Volkskrankheit werden würde, konnte Jörg Immendorff 1966, als seine adipösen Babys in der Tüte entstanden, noch nicht wissen. Wie auch in seinen Café-Deutschland-Zyklus besaß der damals noch junge Maler (1945 bis 2007) ein gutes Gespür für alle monströsen Leiden der Bonner Republik.

Von nun an gehören die grotesken Pummelchen aus der Sammlung Stoffel zum Bestand der Pinakothek der Moderne. Diese präsentiert jetzt unter dem Titel „Passioniert Provokativ“ erstmals ein Drittel der rund 450 Werke aus Köln, die als Dauerleihgaben den Bestand bereichern. Da finden sich wichtige frühe Lüpertz-Bilder wie die „Helme, sinkend“ von 1970, als der noch nicht in der Pose des Malerfürsten erstarrt war. Oder Pencks „Y-Serie“ von 1977, noch nicht abgerutscht ins Harmlos-Ornamentale. Polkes raffiniert-zeichenhaftes „Neid und Habgier“ (1984), ein abstraktes Richter-Breitformat aus demselben Jahr sowie das farbsatte und schwungvolle „Bildacht“ von Baselitz (1991).

Bei den Stoffels hingen diese Großkunstwerke im Wohnzimmer. „Das Ehepaar lebte mit der Kunst“, erklärt Carla Schulz-Hoffmann, stellvertetende Direktorin der Staatsgemäldesammlungen, die die Verbindung mit den beiden seit langem pflegte - und der dieser Zuwachs letztlich zu verdanken ist. Kasper König vom Museum Ludwig hätte die Kollektion nur in Teilen genommen: Die Werkkomplexe von Rosemarie Trockel und Mike Kelley. Aber das wollte das – inzwischen verstorbene – Ehepaar Michael und Eleonore Stoffel nicht mit seiner Kunst machen lassen. Darum gaben sie ihre Kollektion, die überwiegend deutsche und amerikanische Kunst der 70er bis 90er Jahre umfasst, lieber in die Obhut der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Anders als Udo Brandhorst mit dem ausdrücklichen Wunsch sie in den Bestand zu integrieren. In Köln verblieben ist allerdings der 1997 gegründete Skulpturenpark, der nach dem Tod Eleonore Stoffels 2007 in eine Stiftung überging.

Düstere Glut

„Ein Glücksfall für München“ schwärmen Schulz-Hoffmann und ihr Chef, Reinhold Baumstark im Duett - und eine hervorragende Ergänzung. Etwa, wie bei Immendorff für die Sammlung von Herzog Franz von Bayern, ebenfalls Dauerleihgabe in den Pinakotheken. Eindrucksvoll ist die Tatsache, dass viele Künstler nun ganze oder gar mehrere Räume füllen wie Penk, Trockel, Kelley und David Salle, dessen plakative Motivcollagen aus lauter Kürzeln zusammengesetzt sind. Auch die Jungen Wilden besetzen einen Saal: Aber unter den Kollegen Werner Büttner, den Oehlen-Brüdern und Volker Tannert bleibt Kippenbergers Faust, die sich aus der Badewanne (mit Kippen) reckt, plötzlich einsam in seiner hingerotzten Provo-Geste.

Faszinierend ist, dass Künstlerinnen wie Marlene Dumas, Nicola Tyson und eben die Trockel mit dieser Macho-Kunst nebenan in Dialog treten. Abgesehen davon, dass Dumas’ leidender Jesus, die tanzende Salome und das „Land aus Milch und Honig“ ohnehin eine unheimliche Wirkkraft haben. Nicht von dieser Welt sind auch Per Kirkebys Gemälde, die neben Terry Winters Keimlingen umso düsterer glühen. So ist mit „Passioniert Provokativ“ besonders eines gelungen: Ein Reigen ungewöhnlicher Begegnungen.

Roberta De Righi

Di-So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr, Katalog 39 Euro

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