Der witzigste Amerikaner
Am 21. April jährt sich der Todestag von Mark Twain zum 100. Mal. In Neuübersetzungen lässt sich der Autor des „Tom Sawyer“ neu entdecken
Die Geburtsstunde der schriftstellerischen Legende lässt sich erahnen: Ein Brief seines Kinderfreundes William Bowen hat 1870 den als Mark Twain bekannten amerikanischen Humoristen Samuel Langhorne Clemens so aufgewühlt, dass seine Antwort eine überquellende Hymne auf die bettelarme, aber glückliche Kindheit am Mississippi wurde.
Man braucht nicht viel Fantasie, um hier schon das Grundgerüst für „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“ zu entdecken. Mit diesen beiden Romanen erlangt Twain schließlich Weltruhm. Sein Pseudonym entlehnt der Ex-Lotse der Fachsprache für zwei Faden Wassertiefe: „Mark Twain“.
Das wichtigste Ereignis seines Lebens hatte sich jedoch schon Jahre zuvor ereignet. Twain erblickt im Sommer 1867 auf dem Schaufelraddampfer „Quaker City“ die Liebe seines Lebens. Besser gesagt: die winzige fotografische Idee von Olivia Langdon. Deren Vater hatte sich für Olivia etwas Anderes gedacht als einen trinkenden, rauchenden und der Kirche wenig zugeneigten Ex-Vagabunden. Gegen Twains Liebe, die Olivia bald erwidert, seinen Charme und seinen Wortwitz sind bürgerliche Konventionen machtlos. Die beiden heiraten am 2. Februar 1870 und beziehen ein von Olivias Vater in Buffalo bei New York zur Verfügung gestelltes Haus.
Ein Menschenfischer
Twain widmet sich dem Schreiben und reist, entgegen allen brieflichen Beteuerungen aus der Ferne, weiter quer durchs Land. Ein leicht extravagant gekleideter Humorist mit breitem Südstaatenslang, der die Hallen füllt und die Menschen fesselt. „Unsere Tage scheinen nur aus hellem Sommerlicht zu bestehen“, schreibt Olivia, aber die Schatten kommen bald. Ihr erstes Kind Langdon wird nur knapp zwei Jahre alt, Olivia, mit einer schwachen Konstitution ausgestattet, ringt im Typhusfieber mit dem Tod. Erst die Geburt der kleinen Susy heitert sie wieder auf. Zwei weitere Töchter und der steile Aufstieg Twains als anerkannter Schriftsteller und moralisches Gewissen Amerikas folgen.
In dem wunderbaren Buch „Sommerwogen“ (Aufbau) hat Übersetzer Alexander Pechmann Briefe der beiden Eheleute (und anderer Familienmitglieder) erstmals auf Deutsch zusammengestellt und mit kleineren biografischen Artikeln kommentiert. So ist eine in Form und Inhalt außergewöhnliche Biografie entstanden, die Twain in allen seinen Facetten zeigt. Er wettert gegen kapitalistische Gier und Gewinnsucht, spekuliert aber selbst munter mit. Sein aus Kindheitserlebnissen inspiriertes Buch „Tom Sawyer“ ist 1876 das erste maschinengeschriebene Skript der Literaturgeschichte. Denn Twain ist ein Technikfreak, investiert ein Jahrzehnt später sein Vermögen in die Entwicklung einer vollautomatischen Setzmaschine – und verliert. Zuvor ist er in Heidelberg an der deutschen Sprache gescheitert: „Ich kenne jede Menge Wörter, aber nur Gott kennt ihre Endungen“, notiert er und vertieft sich in seinen legendären Essay „Die schreckliche deutsche Sprache“.
Fügungen
Doch seine Ironie bewahrt ihn nicht vor härtesten Schicksalsschlägen: Drei seiner vier Kinder sterben vor ihm, und nachdem Olivia, um die er sich aufopfernd kümmert, im Sommer 1904 nach langer Krankheit entschläft, ist er ein gebrochener Mann.
An Gott glaubt er noch immer nicht, aber an eine letzte Fügung des Schicksals: 1835 wurde er geboren als der Halley’sche Komet vorbeizog. 1909 schreibt er: „Ich kam auf die Welt mit dem Halley’schen Kometen. Er kommt im nächsten Jahr wieder und es wäre die größte Enttäuschung meines Lebens, nicht mit ihm zu gehen. Der Allmächtige hat ohne Zweifel gesagt: Hier sind diese beiden komischen Käuze. Sie sind zusammen gekommen, sie müssen zusammen gehen.“
Am 20. April 1910 wurde der Komet wieder sichtbar. Einen Tag später starb Mark Twain in Redding (Connecticut).
Volker Isfort
Andreas Nohl stellt seine fantastische Neuübersetzung von Twains „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ (Hanser, 710 Seiten, 34.90 Euro) am 21. April bei Lehmkuhl vor (Leopoldstraße 45, 20.30 Uhr)
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