Der Tod gehört zum Leben

Samstag Premiere im Residenz Theater: Hausherr Dieter Dorn inszeniert Euripides’ Drama „Alkestis“ in einer deutschen Fassung von Raoul Schrott
von  Abendzeitung

Samstag Premiere im Residenz Theater: Hausherr Dieter Dorn inszeniert Euripides’ Drama „Alkestis“ in einer deutschen Fassung von Raoul Schrott

Eine Frau geht freiwillig in den Tod, damit ihr Mann weiterleben kann – das ist die Quintessenz von Euripides’ „Alkestis“. Intendant Dieter Dorn inszeniert das Drama in einer Fassung von Raoul Schrott, Sibylle Canonica spielt die opferbereite Alkestis, Michael von Au ihren Gatten Admetos. Am Samstag ist Premiere im Residenz Theater.

AZ: Herr Dorn, das ist nach „Hekabe“ und den „Bakchen“ Ihre dritte Euripides-Inszenierung in zehn Jahren.

DIETER DORN: Euripides ist einer meiner Hausgötter. Er ist der modernste der drei großen griechischen Tragiker und hat auch als Regisseur seiner Stücke unheimlich viel erfunden für das Theater. Dass er beim tragischen Agon in Athen nur vier Mal zu Lebzeiten gewonnen hat, zeigt, dass seine Stücke es schwer hatten. Er hat radikal den Einfluss der Götter verneint und gesagt: Der Mensch ist immer selbst verantwortlich. Das war damals ungeheurer Sprengstoff.

„Alkestis“ wurde 438 vor Jesus Christus uraufgeführt – an Stelle eines Satyrspiels.

„Alkestis“ gehorcht nicht den Regeln der Tragödie, weil die Tote am Schluss wiederkehrt. Somit ist das keine tragische Situation, in der ein Held sich gegen das Schicksal stemmt, ihm aber doch unterliegt. Euripides erzählt ein Märchen. Der Mythos war den Zuschauern bekannt: König Admetos erhält von Apoll die Chance, nicht sterben zu müssen, falls jemand für ihn stürbe. Im Prolog erzählt Apoll – wie beim jungen Brecht – die ganze Geschichte, und auch, dass sie gut ausgehen wird. Denn Euripides interessiert nicht das Was, sondern nur das Wie – wie die Menschen damit umgehen. Das ist eine geniale Tat.

Nicht einmal die Eltern wollen sich für Admetos opfern – deshalb tut es seine Frau.

Euripides ist ein unglaublicher Frauen-Dichter, er nimmt die Frauen, die in Athen nur eine untergeordnete Rolle einnahmen, ungeheuer in Schutz. Und lässt sie dabei manchmal reden wie ein Mann. Wenn Alkestis fordert, dass Admetos ihren Kindern keine Stiefmutter gibt, spricht sie eher wie eine Rechtsanwältin denn wie eine liebende Ehefrau. Aber sie ist eben alles zugleich.

Admetos jammert, klagt und wirft Alkestis sogar vor, dass sie ihn allein lässt.

Dennoch ist er kein Unsympath. Wir sind alle so. Angesichts des Todes lässt Euripides die Verhältnisse zerbrechen. Auch mit seinem Vater gerät Admetos in heftigen Streit, weil der nicht sterben wollte. Aber der Tod ist nicht zu delegieren. Er gehört zum Leben, das war für mich der erste Antrieb, dieses Stück zu machen. Der zweite war, dass Euripides als erster 25 Minuten lang jemanden auf der Bühne sterben lässt. Der Tod fand sonst in griechischen Dramen immer im Verborgenen statt und wurde nur in Botenberichten als Ergebnis erzählt. Für uns war die Frage wichtig: Wie zeigt man das Sterben als alleinigen Vorgang so offen und transparent wie möglich, damit sich die Fantasie der Zuschauer bei diesen intimsten Gedanken entfalten kann?

Der genusssüchtige Herakles bringt dann die Rettung. Ist das wirklich ein Happy End?

Die Genialität Euripides’ zeigt sich auch daran, dass er das Stück nicht wie üblich mit drei Schauspielern inszeniert hat, sondern nur mit zweien, die mit großen Masken alle Figuren darstellten. Aber wenn am Schluss neben Admetos und Herakles plötzlich ein Statist als verschleierte Alkestis erschien, wussten 25000 Zuschauer im Dionysos-Theater: Sie kann es nicht sein. Euripides setzt damit ein Fragezeichen, eine Unsicherheit, einen Hinweis. Es könnte auch eine untergeschobene Frau sein, ein großer Fake des Herakles. Oder es könnte sein, dass der Glaube und die Kraft des Märchens siegen. Das ist egal, es kommt nur darauf an, was der Mensch daraus macht.

Und was ist die Botschaft fürs heutige Publikum?

Das Stück ist eine Parabel über das Sterben, über die Anerkennung des Todes als Preis für das Leben. Ein Appell, aktiv das Leben anzunehmen und damit auch den Tod. In einem Leben, das von den Menschen selbst bestimmt wird. Für mich ist „Alkestis“ eines der aufregendsten und wahnwitzigsten Stücke der Weltliteratur, weil es so lapidar ist.

Gabriella Lorenz

Residenz Theater, Samstag und Sonntag, 19 Uhr, Tel. 21851940

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