Der Tod des Bücherregals

Das Ende des gedruckten Brockhaus ist ein Anschlag auf die bürgerliche Wohnkultur, die ohnehin im Wanken ist: Der Bildungsbürger muss sich wohl auf andere Symbole umstellen
Adrian Prechtel |
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Man muss sich die Meldung vom Ende des gedruckten Brockhaus als Erdbeben vorstellen: Dem spätestens seit 1968 unter Denkmalschutz gestellten, lange schon einsturzgefährdeten bürgerlichen Wohnzimmer ist jetzt der prophezeihte Untergang des Abendlandes sicher. Wäre nur der Bücherschrank am Ende, könnte man das noch verschmerzen. Denn hier wurden ja nur ungenutzte Prestigebücher – wie die Goethe-Gesamtausgabe – vor dem geistigen Verstauben weggesperrt. Aber es verschwindet viel mehr: das Prestigeobjekt des diskreten Charmes der Bildungsbourgeoisie, das Bücherregal!

Konnte man sich früher auf einer Party allein durch den Anblick der imposanten Bücherrücken einen flüchtigen Eindruck über den (vorgeblichen?) Geistesadel des Gastgebers machen, müsste man bald im Angesicht kahler Wohnzimmerwände uncharmant fragen: „Dürfte ich Ihren E-Book-Reader kurz starten, um ins Speicherverzeichnis zu blicken?“

Jedenfalls wird der Bildungsbürger – wenn er sich nicht trotzig in seiner Bibliothek einigelt – bald einen AltpapierContainer für seine Büchersammlung anfordern, um vor den Kindern, die schon längst mit dem Kindle-Reader hantieren, nicht als konservatives Fossil zu gelten. Zur Klärung von Streitfragen am Familientisch wird auch nicht mehr in Meyers Konversationslexikon nachgeschlagen, sondern schnell gegoogelt.

Aber wenn man zurück denkt, muss man zugeben: Das Buch als Statussymbol hat seine schweren Schläge schon in Zeiten von Reagonomics und Thatcherismus bekommen, dann noch mal während der New Economy. Schon damals wurde auf Partys mehr über Dax und Portfolios als über den neuen Houellebecq gesprochen. Bildungsferne galt – wenn gepaart mit Karriere – als schick. Und jetzt, in pseudo-postökonomischen Zeiten, wird das Buch als Stil-Stütze auch nicht mehr reanimiert. Das Verschwinden des papierernen Brockhauses ist Zeichen für eine veränderte Wohnkultur als Spiegel bürgerlichen Selbstverständnisses.

Was aber ersetzt die Bücherwand? Kunst – sagen manche. Nur ist es komplizierter, über die Beliebigkeit eines abstrakten Wohnzimmerwandbildes ins Gespräch zu kommen als über Neues von Grass, was in den Gazetten zur allgemeingültigen gesellschaftlichen Debatte hochgeschrieben wurde.

Und alle weiteren modernen Wohnzimmermöblierungen sind inhaltsleer – wie die sündteure Prestige-Stereoanlage, zu der aber eben keine persönlichkeits-stiftende Plattensammlung mehr gehört, nicht einmal mehr eine CD-Sammlung, weil alles steril im iPod gespeichert ist.

Bleibt als hässlicher Blickfang vielleicht noch der front- verglaste, wohltemperierte Weinkühlschrank. Denn wenn man schon nicht mehr gebildet ist, inszeniert man sich eben als Genießer, also Edelspießer.

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