Der Teufel steckt im Detail

„Democratic Camera“: Das Haus der Kunst gibt einen Überblick über das Lebenswerk des amerikanischen Fotografen William Eggleston
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„Democratic Camera“: Das Haus der Kunst gibt einen Überblick über das Lebenswerk des amerikanischen Fotografen William Eggleston

Wahrscheinlich hätte Jimmy Carter 1976 die Wahl zum US-Präsidenten verloren, wenn William Eggleston ihn in dessen Heimat Georgia angetroffen und für den „Rolling Stone“ porträtiert hätte. Doch weil Eggleston, der legendär sture und wortkarge Dandy mit der Kamera, einfach drauflos fuhr, ohne sich zu verabreden, war der Gouverneur von Georgia längst auf Wahlkampftour.

Eggleston knipste statt des demokratischen Kandidaten die Gegend, aus der dieser stammte. Der „Rolling Stone“ druckte die menschenleeren Landschaften und tristen Stilleben allerdings nie. Aber der Fotograf konnte sich solche Extravaganzen leisten: Er war als Sohn reicher Plantagen-Besitzer nie auf den eigenen Verdienst angewiesen.

Das Beiläufige wird eigentlich

Der Fotograf aus Memphis/Tennessee (69) ist heute Kult. Unter dem Titel „Democratic Camera“ widmet jetzt das Haus der Kunst Eggleston eine Retrospektive, die in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Whitney Museum entstand. Kurator Thomas Weski ist es zu verdanken, dass der lebende Alte Meister, der Fotografen (Andreas Gursky, Jürgen Teller, Jeff Wall) wie Filmemacher (Gus Van Sant, David Lynch) bis heute beeinflusst, nach München kam.

„Jedes Bild ist gleich, nur verschieden.“ Dieses so paradoxe wie schlichte Credo erklärt die Arbeitsweise Egglestons. Er erhob das Beiläufige zum Eigentlichen. Für seine großen Foto-Serien, die heute wie das Puzzle-Psychogramm Amerikas wirken, machte er zehntausende Aufnahmen – und überließ die Auswahl einzelner Motive anderen.

Eggleston revolutionierte die Fotografie in den 70er Jahren nicht nur durch die Verwendung von Farbe und Schnappschuss-Ästhetik: Er knipste Müllsäcke am Straßenrand, Schuhe unterm Bett oder einen nackten Mann mit zwei Knarren auf der Couch. In Drive-Ins, Snack-Bars, an Tankstellen und auf Parkplätzen fand er seine Schauplätze, auf denen die Skurrilität und Verlorenheit des Menschen bestens zur Geltung kommt.

Früher gehasst, heute in Klassiker

Sein Bild einer Glühbirne an der Decke eines knallroten Raumes ist inzwischen weltberühmt. Doch als 1976 Fotografien wie diese erstmals im New Yorker MoMA zu sehen waren, nannte ein Kritiker das Ganze „die meist gehasste Ausstellung des Jahres“. Auf den ersten Blick ist die in dunkles Rot getauchte Aufnahme ein schäbig-schräges Stillleben. Erst beim zweiten Hinsehen erkennt man im Hintergrund nur teilweise sichtbare pornografische Piktogramme. Das ist typisch für Eggleston: Am Rand der Fotos liegen wichtige Details, die im Nebensatz den Ausgangspunkt für die durch die fotografische Inszenierung verstärkte Suggestivwirkung offenbaren.

Und auch bei seinen Menschenbildern steckt der Teufel im Detail: Ob beim alten Mann mit Colt oder den drei Mädchen im Garten, bei denen ausgerechnet der Schönsten der Kopf abgeschnitten ist. Man sieht sie, Egglestons begehrte Cousine, auf einem anderen Foto-Gemälde von 1975: innig ins Gespräch vertieft mit einer Freundin. Doch erst die Blüte auf der Lehne macht das Bild zum Klassiker – und die perfekten Schattierungen des Lichts Vermeer zum Zeitgenossen.

Roberta De Righi

Haus der Kunst, bis 17. Mai, Mo-So 10 bis 20, Do bis 22 Uhr

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