Der schlagende Strizzi sucht Erlösung

Am Residenz Theater spielt Michael von Au die Hauptrolle in seinem Lieblingsstück „Liliom“ von Franz Molnár
von  Abendzeitung

Am Residenz Theater spielt Michael von Au die Hauptrolle in seinem Lieblingsstück „Liliom“ von Franz Molnár

Er hat 101 Jahre auf dem Buckel und bleibt doch ein verführerischer Strizzi: Der Kleinganove Liliom, der seine Liebe besser in Schlägen als in Worten ausdrücken kann und sich nach einem missglückten Raubüberfall umbringt. 1909 schrieb der ungarische Erfolgsautor Franz Molnár diese Vorstadtlegende, die 1913 in der deutsch-wienerischen Übertragung von Alfred Polgar ein Bühnenschlager wurde und 1945 Richard Rodgers und Oscar Hammerstein zu dem Musical „Carousel" inspirierte. „Liliom" ist ein Lieblingsstück von Michael von Au, der jetzt in der Regie von Florian Boesch die Titelrolle spielt. Heute ist Premiere im Residenz Theater.

AZ: Herr von Au, Polgar hat das Stück von Budapest nach Wien verlegt, und seitdem gilt Liliom als Inbegriff des Wiener Strizzi. Sie sind aber gebürtiger Berliner.

MICHAEL VON AU: Das ist ja eins der Stücke, die am meisten in andere Dialekte übersetzt wurden, weil es so vom Lokalkolorit lebt. Natürlich hätte ich es als Berliner auch gern auf Berlinerisch gespielt. Bei uns spielt es an keinem festgelegten Ort. Und aus dem Karussell-Ausrufer Liliom ist ein Sänger in einem Ballhaus geworden. Das Ballhaus funktioniert wie der Rummelplatz als Ort, wo man zusammenkommt, singt, tanzt und Beziehungen knüpft.

Der Weiberheld Liliom wird von der älteren Ballhaus-Besitzerin Muskat ausgehalten. Für das naive Dienstmädchen Julie gibt er sein bequemes Leben auf, will aber auch keine andere Arbeit finden.

Liliom gehört nicht in die Zeit - weder in die der Frau Muskat noch in die der Jugend von Julie. Er will in der Neuzeit andocken, aber er schafft es nicht. Er kann das neue System nicht mehr erlernen. Einen neuen Job will er nicht. Er sieht nur seine Welt und kriegt nicht mit, dass der Zug weiterfährt. Er hat keine Chance, so wie heute jemand ohne Computerkenntnisse.

Obwohl er Julie liebt, schlägt er sie.

Er ist ein kaputter Typ, der mit absoluter Konsequenz immer die falsche Entscheidung trifft. Er findet sich in keiner Welt mehr zurecht und haut deshalb brutal drauf. Er strauchelt, verheddert sich, endet beim Schlagen. Aus seiner Überforderung heraus schlägt er gegen die Welt. Er ist ein einsamer Mensch.

Molnárs Sozialdrama klingt stellenweise wie ein Vorläufer von Horváth. Dann kippt es in ein Märchen: Nach 16 Jahren Fegefeuer darf Liliom für einen Tag zurück auf die Erde, um seiner Frau und seiner Tochter etwas Gutes zu tun.

Als er zurückkommt auf die Welt, aus der er rausgeschubst worden ist, ist er längst überholt. Er kommt nicht mehr mit. Und immer, wenn er etwas wieder gutmachen will, tut er allen damit weh.

Molnárs Himmels-Bürokratie mutet sehr k.-u.-k.-altmodisch an.

Wir wollen zeigen, wie der Himmel im Kopf von Liliom aussieht. Die Erlösung von dem ganzen Mist, den man auf Erden gemacht hat. Es bleibt ein Märchen, aber wir versuchen, auch die realistische Ebene zu zeigen. Ich liebe das Stück ja auch wegen seiner Kitsch-Nummern.

Das Stück ist sehr offen für viele Inszenierungsstile.

Man kann es ganz brutal machen, mit Prügeln und Vögeln auf der Bühne, oder ganz poetisch und zärtlich. Wir zeigen auf keinen Fall das Schlagen - das müssen Zeichen sein. Wir wollen über die Sprache zeigen, was gedanklich passiert.

Sie singen gern und spielen Ihr eigenes Songprogramm „Die Au-Schau" im Resi. War es Ihre Idee, aus dem Karussell-Ausrufer einen Ballhaus-Sänger zu machen?

Nein, das kam von dem Film „Chanson d'amour" mit Gérard Depardieu. Die Liliom-Lieder sind alle Eigenkompositionen von Martin Schütz, die sind viel schwieriger zu singen als ein Dean-Martin-Song. Aber wir planen im Herbst eine zweite Folge der „Au-Schau" am Residenz Theater. Danach werde ich mich wohl erstmal wieder mehr in Richtung Film orientieren.

Gabriella Lorenz

Residenz Theater, heute 19 Uhr, Samstag 20 Uhr, Tel. 2185 1940

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