Der Roman "Damenopfer" von Steffen Kopetzky
Lawrence von Arabien kennt jeder. Aber wer kennt Oskar von Niedermayer, den bayrischen Lawrence von Arabien aus Freising? Der ist eher unbekannt, unter anderem deshalb, weil seine Bemühungen, die Afghanen im Ersten Weltkrieg zum Dschihad gegen Britisch-Indien aufzuwiegeln, keinen Erfolg hatten.
Steffen Kopetzky hat 2015 diese Geschichte in seinem Roman "Riskio" erzählt. Aber offenbar nicht erschöpfend. Auch in Kopetzkys neuem Buch "Damenopfer" spielt Niedermayer eine wichtige Nebenrolle: als Mitorganisator der heimlichen Zusammenarbeit zwischen der Reichswehr und der Roten Armee in den ersten Jahren der Weimarer Republik.
Die Hauptfigur ist nicht weniger schillernd: Larissa Reissner, eine Bolschewikin und (überwiegend auf deutsch schreibende) Journalistin. Sie spielte als politische Kommissarin der Roten Armee eine wichtige Rolle in der "Kasaner Operation". Die brachte den Bolschewiki 1918 einen Sieg ein, der letztendlich über den Ausgang des Bürgerkriegs und damit über die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts entschied.
Reissners Ehemann, der Flottenkommandeur Fjodor Raskolnikow, war der erste sowjetische Botschafter in Afghanistan. Dort stößt Reissner auf in eine Wand eingemauerte Unterlagen Niedermayers, die einen Feldzugsplan gegen Britisch-Indien beeinhalten. Sie möchte ihn für die Weltrevolution benutzen und begibt sich auf die Suche nach dem bayerischen Offizier.
Das ist der Rote Faden des Romans, mit dessen Hilfe Kopetzky das Leben Reissners nachzeichnet. Es ist ein besonderer Reiz von "Damenopfer", dass dieses aufregende Leben nicht chronologisch, sondern in Sprüngen erzählt wird. Am Ende fügten sich die Splitter wie in einem Puzzle perfekt zusammen. Etwas zu perfekt womöglich, denn die glatte, am Unterhaltungsroman orientierte Technik ist eine Schwäche von Kopetzkys Buch.
Alles greift in dieser Erzählung allzu perfekt zusammen. Züge verkehren pünktlich, Flugzeuge auch. Und wenn Figuren Pläne machen, dann klappen sie auch - wenn man von der Weltrevolution und dem in der Erzählung gestreiften kommunistischen Putschversuch des Jahres 1923 in Sachsen und Thüringen einmal absieht.
Das exzessive Namedropping des Buchs löst allerdings gemischte Gefühle aus. Von Walter Benjamin über Wilhelm Furtwängler bis zu Ho Chi Minh und Anna Achmatova treten sehr viele historische Figuren auf. Es mag sogar glaubhaft sein, dass man sich in Moskau Anfang der 1920er Jahre tatsächlich am besten an den Komintern-Mann Karl Radek gewandt hat, wenn man sich über Verhältnisse in Deutschland informieren wollte.
Aber die Parade der Berühmtheiten hat für Leser mit einschlägigen Vorkenntnissen etwas sehr Erwartbares. Sie ist ähnlich klischeehaft wie der hässliche rothaarige zaristische Geheimpolizist, der seine Karriere unter den Bolschewiken fortsetzt. Dass bei einer Probe des Leipziger Gewandhausorchesters der Chefdirigent Wilhelm Furtwängler erwartet wird, mag noch angehen, die nach dem Dirigentinnenjob strebende Geigerin ist ein eher heutiges Klischee. Und einmal grüßt der "Dritte Mann", wenn im konspirativen Zusammenhang ein Wiener Kaffeehaus am Potsdamer Platz erwähnt wird, in dem - naturgemäß - Sacher- und Linzertorte serviert werden und ein "blinder Zitherspieler mit schwarzer Brille" wie in Trance Wienerlieder zum Besten gibt.
Es dürfte schwierig sein, dem Autor Flüchtigkeitsfehler bei der Recherche nachzuweisen. Dass Niedermayer als letzter Träger des mit persönlichem Adel verbundenen Militär-Max-Joseph-Ordens der "letzte Ritter des Königsreichs Bayern" gewesen sei, wie es mehrmals im Buch heißt, trifft nach Auskunft des Bayerischen Armeemuseums in Ingolstadt allerdings nicht zu.
Höhepunkt des Buchs im Guten wie im Schlechten ist eine Party in der Berliner Villa von Alexander Parvus. Der Journalist, Sozialdemokrat und Waffenhändler wurde reich durch dubiose Geschäfte und organisierte mit dem deutschen Geheimdienst Lenins Reise von Zürich nach St. Petersburg im plombierten Eisenbahnwagen.
Parvus gibt, kurz von der Londoner "Times" aufblickend, der Hauptfigur des Buchs ein Kurz-Seminar über Finanzpolitik. Jemand liest den Gästen eine Passage aus Dostojewskis "Schuld und Sühne" vor, um die "unsauberen, müffelnden Hirnwindungen" auszuwischen, wie Kopetzky schreibt. Dann stellt der völkisch-nationale Publizist Arthur Moeller van den Bruck auf der Party sein Buch "Das Dritte Reich" vor, das in einer Synthese aus Marx und Oswald Spengler die Idee eines "nationalen Sozialismus" entwickelt.
Der russische Marschall Tuchatschewski hat als Kriegsgefangener in Ingolstadt französisch gelernt: Also tarnt er sich als Offizier dieses Landes. Carl Schmitt, der spätere "Kronjurist des Dritten Reichs" wirft ein begehrliches Auge auf Larissa Reissner. Und für alle historischen Nerds, denen die Namen etwas sagen: Otto Strasser und Ernst Niekisch waren auch auf dieser Party.
In der Nacherzählung mag derlei rechte Kulturgeschichte abstrus wirken. Kopetzky gelingt es aber, die redenden Ideenträger einigermaßen natürlich wirken zu lassen. Und es gelingt ihm, auf wenigen Seiten zu den kulturhistorischen Ursprüngen einer Russlandliebe vorzustoßen, in der sich die extreme Rechte und Linke bis heute berühren.
Das ist Thema in einem anderen Salon der Villa Waltrud. Dort debattiert Larissa Reissner mit einem arroganten Zauselbärtigen ohne Namen über das Konzept des "Euroasianismus", demzufolge die Mission Russlands darin bestünde, Europa und Asien mit Hilfe seiner heiligen Seele zur neuen Weltmacht Eurasien zu vereinigen.
Kopetzky hat hier den (angeblichen) Putin-Berater Alexander Dugin porträtiert, und auch wer ihn nicht erkennt, wird verstehen, dass den neuen russischen Nationalismus viel mit alten und Neuen Rechten in Deutschland verbindet. Und da sind wir wieder bei der ominösen "Geopolitik" und dem Denken in Räumen, für das auch Niedermayers Afghanistan-Episode zählt.
Dem Autor gelingt es fast immer, allgemeinverständlich zu bleiben. Einige Pointen sind allerdings auch das, was man in Computerspielen "Easter Eggs" nennt. Man muss ein einschlägiges Studium mitbringen, um die letzte Seite völlig zu verstehen, auf der die "Optimistische Tragödie" erwähnt wird, deren Autor Wsewolod Wischnewski einmal episodisch auftritt und der in diesem Theaterstück Larissa Reisner porträtiert hat.
Natürlich mag Kopetky die Figuren seines Romans, manchmal etwas zuviel vielleicht. Er schildert eine Zeit des Aufbruchs. Aber er macht sich keine Illusionen über die Lebens-realität in der Zeit zwischen Lenins Tod und der Zeit von Stalins Alleinherrschaft. Und so ist es vielleicht so klischeehaft wie richtig, dass die Russen des Romans den Georgier ebenso unterschätzen wie die Deutschen einen zur Zeit der Handlung in Landsberg einsitzenden Putschisten, der dort ein Buch schreibt.
Steffen Kopetzky: "Damenopfer" (Rowohlt, 448 S., 26 Euro). Der Autor stellt seinen Roman am 10. Oktober im Literaturhaus vor
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