Der Raub der Helena
Zu Erholung hat sich der österreichische Kultautor Wolf Haas einen neuen Brenner-Roman geschrieben
Was hatte Wolf Haas nicht alles gesagt, um der trauernden Fangemeinde zu erklären, weshalb „Das Ewige Leben“ (2003) der letzte Roman um den Anti-Detektiv Simon Brenner sein würde: Aufhören, wenn’s am schönsten ist, die Angst des Autors, seine Erzählweise könnte durch den Erfolg zur Masche werden. Haas hatte sich zudem ein erzähltechnisch hübsches Ende für die Serie ausgedacht: Nicht den Detektiv, sondern den Erzähler, diesen verschwafelten, abschweifenden Maulhelden, der den Leser im Duzton zuquatscht, ließ er abkratzen, während Brenner auf dem Rücken seines Mopeds mit einer lustigen Witwe als Sozius in die Freiheit brauste.
Und nun das: „Brenner und der liebe Gott“ heißt Haas’ neuer Krimi. Geschrieben habe er ihn, um sich vom Erfolg des „Wetters vor 15 Jahren“, seinem letzten Buch, zu erholen, hat Haas gegenüber dem Magazin „Falter“ gesagt. Im neuen Roman erklärt der Einstiegssatz das Comeback: „Meine Großmutter hat gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.“ Per Kopfschuss war er also nicht totzukriegen, dieser Stammtischbruder, dessen Plappermaul mit dem ewigen Leben die Brenner-Romane ihren Sound verdanken. Diese eigentümlich attraktive Mischung aus Hinterfotzigkeit und Gemütlichkeit, Widersinn und Sprachlogik, Engstirnigkeit und plötzlich aufscheinendem Durchblick.
Ein Idyll wandelt sich in Grauen
Ein ungewohntes, beinahe friedliches Bild entwirft der Erzähler anfangs. Von sich selbst – „Hör zu, warum soll jedes Blutbad mein persönliches Bier sein?“ – und erst recht vom Brenner, der dank Antidepressiva und neuem Job zu Ruhe, Glück und noch größerer Langsamkeit gefunden hat: Aus dem Privatdetektiv ist Herr Simon, Chauffeur des Münchner Baulöwen Kressdorf, geworden. Verheiratet ist der Unternehmer, der standesgemäß seine Aufträge auf einer Almhütte bei Kitzbühel anleiert, mit einer Ärztin, die in Wien eine Abtreibungsklinik betreibt – welche viele Demonstranten auf den Plan ruft.
Mit der Gelassenheit Brenners ist es aus, als Helena, das Kind der beiden, das er zwischen Wien, Kitzbühel und München hin- und herchauffiert, beim Tankstellenstopp abhanden kommt. Eine Entführung der Rosenkranzrowdys, die damit die Schließung der Abtreibungsklinik erzwingen wollen? Oder nur eine Verwicklung von Kressdorfs zwielichtigem Riesenland-Projekt, mit dem der Wiener Prater zum Funpark umgestaltet werden soll? Als Herr Simon entlassen wird, ist Brenner beinahe ganz der Alte: Ein Privatdetektiv in eigener Sache, der alles daran setzt, das verschwundene Kind wiederzufinden.
Der Kommissar geht fast selber drauf
Zwischen Almhütte und Abtreibungsklinik jagt Haas seinen tapsenden Ermittler herum. Es geht um Entführer ohne Forderung, Überwachungsvideos, Erpressung, eine rothaarige Südtirolerin und Brenners Gotteserfahrung an einem unappetitlich unwahrscheinlichen Ort: dem Boden einer Senkgrube.
Am Ende gibt es sieben Tote, und natürlich wäre Brenner fast einer von ihnen gewesen. Aber wichtiger als die Leichen und der sich absurd aufschaukelnde Plot ist auch diesmal die Sprache, in der Haas Brenner und den Erzähler über Hüttenzorn („Wieso können reiche Leute nicht normal in Palästen wohnen?“) und die Sehnsucht nach Gelassenheit in einer Welt der Nicht-Dinge fabulieren lässt: „Das ist der größte Fehler an unserer Welt, dass es nicht wenigstens ein paar Dinge gibt, die es nicht gibt. Weil Nichtdinge und Nichtmenschen meistens weitaus sympathischer sind als die, die sich mit spitzen Ellenbogen in die Welt gedrängt haben.“
Claus Lochbihler
Wolf Haas: „Der Brenner und der liebe Gott“ (Hoffmann und Campe, 224 Seiten, 18.90 Euro)
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