Der Nobelpreis: Eine politische Entscheidung?
Seit das "Informationsleck" in der Schwedischen Akademie geschlossen wurde, blickt die Literaturwelt nicht mehr ganz so interessiert auf die Quoten britischer Wettbüros, aus denen man noch vor ein paar Jahren erstaunlich genau vorhersagen konnte, wer den Literatur-Nobelpreis erhalten werde.
Drei Richtungen für die Entscheidungsträger: Politisch, Politisch und Unpolitisch
Die letzten Entscheidungen für Abdulrazak Gurnah (2021) und Louise Glück (2020) hatte kaum jemand auf dem Zettel, auch Peter Handke (2019) und Olga Tokarczuk (nachgeholte Preisträgerin für 2018) waren – aus sehr unterschiedlichen Gründen – große Überraschungen.
In diesem Jahr allerdings gibt es grob gesagt drei Richtungen, in die sich die 18 Entscheidungsträger der Schwedischen Akademie bewegen könnten: Es gibt internationale Stimmen, die sich einen ukrainischen Nobelpreisträger wünschen, so wird etwa Serhij Zhadan genannt, der in zwei Wochen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird.
Andere hingegen sind der Meinung, dass Salman Rushdie geehrt werden müsste. Der in Bombay geborene Brite, gegen den Khomeini 1989 eine Fatwa aussprach wegen angeblicher Beleidigung des Propheten im Roman "Die satanischen Verse", war am 12. August 2022 bei einer Lesung in Chautauqua, New York, angegriffen und mit mehreren Messerstichen schwer verletzt worden.
Die Akademie kritisiert den Angriffskrieg: Folgen Taten auf Worte?
Und es gibt wie immer diejenigen, die der Ansicht sind, dass politische und andere außerliterarische Themen für den Literatur-Nobelpreis eher nicht infrage kommen sollten. Aber als Entscheidungsträger im Elfenbeinturm sieht sich die Schwedische Akademie nicht: Entgegen ihrer Praxis, sich nicht zu politischen Angelegenheiten zu äußern, hatte die Schwedische Akademie den russischen Einmarsch in die Ukraine schon früh aufs Schärfste verurteilt. Russlands Vorgehen gehe über die Politik hinaus und bedrohe die Weltordnung, die auf Frieden, Freiheit und Demokratie aufbaue, schrieb die Institution Anfang März in einer seltenen Erklärung. Warum sollte die Akademie diesen Worten keine Taten folgen lassen?
233 Nobelpreiskandidaten: Die Namen sind streng geheim
Auf der sogenannten Longlist für den Preis stehen diesmal 233 Kandidaten, wie die Deutschen Presse-Agentur von der Akademie erfuhr. Welche Namen darunter sind – das wird allerdings stets streng geheim gehalten.
Auch die seit Jahren kursierenden Namen wie Margaret Atwood, Haruki Murakami, Ngugi wa Thiong'o, oder Anne Carson sind reine Spekulation. Und gegen eine Entscheidung für die ebenfalls häufig genannte französische Autorin Annie Ernaux und ihren Landsmann Michel Houellebecq spricht, dass die französische Sprache mit Patrick Modiano (2014) und Jean-Marie Gustave Le Clézio (2008) in jüngerer Zeit bereits zwei Mal berücksichtigt wurde, wie überhaupt das westliche Europa stark dominiert in der Liste der seit 1901 benannten Preisträger: Frankreich führt mit 15 Gewinnern vor den USA (13), Großbritannien (12), Deutschland und Schweden (je 8).
Eine Medaille und rund 920.000 Euro Preisgeld
Dass Autorinnen bislang nur 13,6 Prozent der insgesamt 118 Geehrten stellen, ist sicherlich auch ein Missstand, den die Schwedische Akademie mitbedenkt.
Dessen ungeachtet favorisierte die Wettplattform Nicer Odds gestern noch Michel Houellebecq für die Nobelmedaille und das stattliche Preisgeld in Höhe von zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 920.000 Euro).
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