Der Mythos landet in der Realität
Salzburger Festspiele: Dieter Dorn inszeniert Glucks „Orfeo ed Euridice“ als Geschichte einer durchaus irdischen Beziehung und Riccardo Muti sorgt für echte Opern-Glut – mit Finessen
Manchmal erinnern Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker an ein altes Ehepaar. Bei plätscherndem Schubert oder Mozart nehmen sie gern ein Schaumbad im Schönklang und träumen melancholisch von den Zeiten, als die Welt der Musik noch in Ordnung war. Das kann berückend ästhetisch sein, aber auch ein bisschen langweilig.
Keine Spur von solcher Edelroutine gab es in der Premiere von „Orfeo et Euridice“ im Großen Festspielhaus. Da loderte die alte Glut. Schon in der Ouvertüre klangen die Philharmoniker erstaunlich hell und brillant. Jede Wiederholung wurde ein wenig anders gestaltet, nichts war selbstverständlich. Bei Orfeos „Che farò senza Euridice“ brüskierte der italienische Gluck-Aficionado alle Hör-Erwartungen: Er nahm die von tausend Sängern glatt gesungene Arie ungewöhnlich langsam und stellte den Eindruck eines Klagegesangs wieder her, ohne in einen forcierten Expressionismus zu verfallen.
Gluck-Langeweile blieb aus
Mit Elisabeth Kulman hatte Muti dafür die ideale Interpretin: Die österreichische Altistin ist keine Virtuosa wie Vesselina Kasarova. Sie singt erfreulich unmanieriert und klar, mit fein schattiertem Ausdrucksnuancen und wundervoll brustigen Tieftönen. Der herbe Einschlag der Stimme passt zum androgynen Charakter dieser Hosenrolle ebenso gut wie zur puristischen Wiener Fassung von 1762, in der die Festspielbesucher vergeblich auf den Furientanz und den Reigen seliger Geister warteten.
Die ernste Genia Kühmeier kontrastierte als Euridice glücklich mit der leichten Soubrettenstimme von Christiane Karg (Amore). Weil Muti auch die Raumklang-Effekte nicht unterschlug und Orfeos Harfe sogar von einem seitlich platzierten Extra-Ensemble im Graben begleiten ließ, stellte sich die gefürchtete Gluck-Langeweile aus edler Einfalt und stiller Größe nicht ein. Mit einem überbordenden Reichtum an Orchesterfarben und lässiger Natürlichkeit bewies Muti, dass die Musik des 18. Jahrhunderts auch für einfühlsame Traditionalisten nicht verloren ist.
In einem der mittlerweile sprichwörtlich gewordenen Kästen von Jürgen Rose erdete Dieter Dorn den Mythos durch Realitätssinn. Zur Ballettmusik wurde nicht getanzt, sondern stumm agiert: Wie in einem Stück von Botho Strauß versöhnten und stritten sich Paare. Auch eine schwule Partnerschaft hatte der Regisseur nicht vergessen.
Störend wirkte eine gewisse Überdeutlichkeit: Sie verführte Dorn, die Götter als müde Maharadschas auf die Hinterbühne zu setzen. Auch Orfeos Verachtfachung durch hübsche Damen mit Lyren wirkte eher dekorativ. Euridice bei ihrem zwiefachen Tod einfach in der Versenkung zu entsorgen, passte kaum zum humanen Ansatz der Inszenierung: So einfach stirbt es sich nicht einmal in der Oper.
130 000 Euro für den Kleindarsteller-Luxus
Meisterlich belebte Dorn dagegen einen Trauer-Chor: Während die Masse langsam wegging, zögerte eine einzelne Dame, die dann von einer anderen weggezogen wurde. Es war nur eine Handbewegung, die aber einfach und wirkungsvoll eine rituelle Szene in eine Handlung unter Menschen verwandelte.
Der nicht besonders homogen singende Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor war durch 70 Kleindarsteller verdoppelt. Beim Schlussapplaus verriet der kaufmännische Festspiel-Direktor Gerbert Schwaighofer seiner Gattin, dass ihn dieser Luxus schlappe 130 000 Euro kostet. Dafür stattet ein normales Theater ein paar Inszenierungen aus. Riccardo Muti dürfte für seine sieben Gluck-Abende übrigens das gleiche bekommen. Auf den einzelnen Mimen heruntergerechnet ist es übrigens eine durchaus vertretbare Gage.
Robert Braunmüller
Restkarten für die Aufführungen am 3., 19., 21. und 24. 8. unter Tel. 0043-662-8045-500